Schulung von Fixierungen
in Pflegeausbildungen
Autorin: Nicole Haiderer
Was lässt sich in einer Schulung alles hineinpacken?
Seit mittlerweile vier Jahren finden Kurse für Deeskalations- und Sicherheitsmanagement in Pflegefachassistenz- und Pflegeassistenzausbildungen statt. Ebenso im Fachhochschulstudium für Gesundheits- und Krankenpflege.
Die Kurse beschränken sich meist auf zwei bis drei Tage. In diesen Kursen ist das Ziel, die Auszubildenden für das Thema Aggression und Gewalt zu sensibilisieren.
Im Vordergrund dieser Kurse stehen präventive Maßnahmen wie rechtzeitiges Erkennen von Aggression und adäquates Reagieren auf die aggressiven Ereignisse und vor allem die kommunikative Deeskalation. Die Ziele sollen durch Vermittlung theoretischer Inhalte und im Rahmen praktischer Übungen erreicht werden.
Schulung zum Umgang mit Gurtensystemen wird gefordert
Allerdings entsteht in letzter Zeit immer mehr der Eindruck, dass in den Pflegeausbildungen, egal ob Assistenzberufe oder in der Bachelorausbildung, möglichst viel Inhalt in möglichst kurzer Zeit vermittelt werden soll.
Aktuell wird von den Kursveranstalter*innen (Trainerinnen und Trainer) verlangt, die Auszubildenden im Umgang mit Gurtsystemen zu unterweisen. Vier- und Fünfpunktfixierungen sollen sowohl theoretisch als auch praktisch geschult werden.
Dadurch stellt sich die Frage:
Was kann in dieser kurzen Zeit an Inhalten zu Fixierungen und Anbringen von Gurtsystemen geleistet werden?
Das Anbringen von Gurtsystemen erfordert sehr viel Übung
Das Anbringen von Gurtsystemen erfordert sehr viel Übung, um auch im Ernstfall adäquat und schnell reagieren zu können. Noch dazu geht es nicht allein nur um die Technik des Anbringens von Gurten.
Um eine Person sicher, für alle Beteiligten, im Bett fixieren zu können, braucht es ein geordnetes Vorgehen des gesamten Teams. Auch diese s.g. Interventionen im Team brauchen viel Übung, um die Abläufe zu automatisieren und werden daher auch nur im Rahmen einer Basiswoche (40 Stunden) für Deeskalation- und Sicherheitsmanagement geschult.
In so kurzer Zeit diese Interventionen im Team zu schulen und mehrmals zu üben ist nicht umsetzbar. Weiters fehlt es in Zwei- oder Dreitageskursen an Zeit, um mit den Auszubildenden an der eigenen Haltung zu arbeiten und um die Hintergründe, die zu solchen Situationen führen können, zu erarbeiten.
Fixierungen sind Zwangsmaßnahmen und es besteht die Gefahr von körperlichen Verletzungen aber auch von seelischen Traumatisierungen bzw. Retraumatisierungen bei allen beteiligten Personen.
Die letzte aller Möglichkeiten ist die Fixierung
Es darf nach diesen Kursen nicht der Eindruck entsteht, dass Situationen gut deeskaliert sind, wenn die betroffene Person sicher fixiert im Bett liegt.
Fixierungen, egal in welcher Form, können nur die letzte aller Möglichkeiten sein, um eine Situation zu deeskalieren.
Diese Haltung entspricht den moralischen und ethischen Grundsätzen für einen Umgang mit Menschen und ist auch in den gesetzlichen Grundlagen wie dem Heimaufenthaltsgesetz und dem Unterbringungsgesetz festgehalten.
Was kann in zwei bzw. drei Tagen vermittelt werden
Daher zurück zu der Frage: was kann innerhalb der zwei- bzw. dreitägigen Kursen vermittelt werden, um die geforderten Ziele (Umgang mit Gurtsystemen) zu erreichen?
Es kann erklärt werden (z.B. anhand des Phasenverlaufs von Aggressionsereignissen nach Breakwell), dass es in manchen Situationen notwendig ist, Personen im Bett mit diesen Gurtsystemen zu fixieren und welche rechtlichen Bedingungen erfüllt sein müssen, um diese Maßnahmen durchzuführen.
Faktenwissen versus sicherer Umgang in der Praxis
Die Gurtsysteme und das Anbringen der Gurte können den Auszubildenden gezeigt werden, allerdings kann nicht erwartet werden, dass nach dieser kurzen Zeit ein sicherer Umgang in der Praxis mit diesen Systemen möglich ist.
Anhand der Lernzieltaxonomie nach Bloom befinden sich die Auszubildenden nach diesen Kursen auf Stufe 1 (Faktenwissen, Kennen).
Mehr kann nicht verlangt werden und ist in zwei oder drei Tagen auch nicht möglich. Das muss den jeweiligen Institutionen klar kommuniziert werden.
Bewusstsein für Aggression und Gewalt entwickeln
So wie vorhin erwähnt, soll es in diesen Ausbildungen vor allem um die Prävention von Aggression und Gewalt gehen.
Die Auszubildenden sollen ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass sie im Berufsleben mit Aggression und Gewalt konfrontiert sein könnten. Sie sollen durch die Teilnahme an dem Kurs erfahren, was mögliche aggressionsauslösende Faktoren sind und auch Warnsignale frühzeitig erkennen können. Sie sollen, am besten durch selbsterfahrende Unterrichtsmethoden, ausprobieren können, wie sie ihre kommunikativen Fähigkeiten einsetzen können.
Verpflichtung gegenüber den Auszubildenden
Der Umgang mit so restriktiven Verfahren, wie eine Fixierung im Bett, auch wenn es „NUR“ das Anbringen der Gurte an den Extremitäten der betroffenen Person ist, bedarf viel mehr Fertigkeit und Übung, als das mechanische Hantieren.
Das ist in dieser kurzen Zeit nicht leistbar, wenn wir -Trainerinnen und Trainer – unserer Verpflichtung gegenüber Auszubildenden nachkommen wollen.
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