Krisenmanagement- Suchterkrankte Menschen im Entzug
Begegnen und Begleiten
Autor: Richard Kohlhauser
Wie können wir Menschen in einer Entzugsbehandlung bestmöglich unterstützen
Die derzeitige Covid-19-Krise ist allgegenwärtig und betrifft uns in vielen Lebenslagen.
Menschen mit Suchterkrankungen sind durch diese herausfordernden Lebensumstände vermehrt gefährdet, dass sich persönliche Krisen manifestieren, ausweiten und zu Aggression und/oder Gewaltreaktionen führen können.
Zusätzliche Anforderungen durch die Covid-19-Krise
Man fühle sich in einen Menschen ein, der in seinem Leben im privaten, beruflichen oder sozialen Umfeld traumatische Erlebnisse erleiden musste, ein erhöhtes Risiko aufgrund einer belastender Vorerkrankung, über verminderte Bewältigungsstrategien zur Stressbewältigung verfügt oder durch andere Umstände an einer Suchterkrankung leidet.
Sie können unter anderem Schwierigkeiten aufweisen, angemessene, sozial tolerierte Strategien zu entwickeln, wie sie mit Verlusten oder eingeschränkten, sowie belasteten Lebensumständen umgehen können.
Auch eine bestehende Obdachlosigkeit stellt hierbei eine besondere Herausforderung dar.
Menschen mit Suchterkrankungen, welche die Kraft aufgewendet und sich entschlossen haben, etwas an ihrer Situation ändern zu wollen, um vielleicht wieder die „Kontrolle“ über sich selbst zu erlangen („sich spüren; am Leben ohne der Sucht teilhaben,…“), können durch die Covid-19-Krise zusätzlich betroffen sein.
Im multiprofessionellen Team geht damit eine zusätzliche Anforderung in der Betreuung zur Krisenbewältigung einher, wenngleich man auch selbst von der Krise betroffen ist.
Begleitung: Am Anfang steht die Krise, am Ende steht die Nachsorge, im Mittelpunkt steht der Mensch
In dieser herausfordernden Zeit sind Haus,- Hygiene,- Abstand-, Ausgangs-, Masken,- Besuchs- und Verhaltensregel und regelmäßige Testungen neben einer möglichen erhöhten Vulnerabilität eine zusätzliche Belastung für Betroffene in einer Entzugsbehandlung.
Ein zeitnahes Erkennen von mannigfaltigen Krisen, trägt zu einer Verringerung des Risikos von Aggression und/oder Gewaltreaktionen bei. Neben gesetzten Interventionen ist die Nachsorge ein wichtiges Element im Krisenmanagement, um das Vertrauen in der professionellen Beziehung zu festigen und durch Rückmeldungen von Erfahrungen der gesetzten Interventionen berichten und lernen zu können.
Ätiologie: Krisen im Entzug
Der Körper befindet sich im Entzug in einem vegetativen Ausnahmezustand, demzufolge sind somatische Symptome wie Blutdruckentgleisungen, Veränderungen im Insulinspiegel, vermehrtes Schwitzen, unausgeglichener Schlaf-Wach Rhythmus usw. keine Seltenheit.
Es folgen auch psychische Phänomene, wie Gedankenkreisen, Suchtdruck (Craving), erhöhte Reizbarkeit, vermehrter Rückzug oder soziale Krisen im Rahmen des Entzuges, wie zum Beispiel wiederholte zwischenmenschliche Konflikte, Arbeitsplatzverlust, Arbeitslosigkeit oder Obdachlosigkeit.
Zu diesen Erscheinungen in der Entzugsbehandlung sieht man sich auch zunehmend mit Lebensveränderungskrisen, die sich durch eine Veränderung der Lebensumstände, wie sie durch die Pandemie verursacht sein könnte, verstärkt konfrontiert.
Im Detail können finanzielle Nöte, Verluste im Freundes-, oder Bekanntenkreises oder unsichere Zukunftsperspektiven inhaltliche Themen in Gesprächen sein.
Relevanz des Krisenmanagements zur Reduktion von Aggression und/oder Gewaltreaktionen im Entzug
Zunächst ist zu erwähnen, dass der tägliche Kontakt zu den Betroffenen und die Beobachtung von Verhaltensweisen sowie Mimik und Gestik einen wesentlichen Teil zur Einschätzung der Situation beiträgt.
Dies kann das frühzeitige Intervenieren bei Krisen sicherstellen, sodass das Risiko von Aggression und/oder Gewaltreaktionen minimiert werden kann. Möglichkeiten als Interventionen können Entlastungsgespräche, medikamentöse Einstellungen sowie Vermittlung und Austausch ins multiprofessionelle Team sein.
Menschen in der Krise begleiten
Zahlen einer Klinik, die mittlerweile mit über mehrere Jahrzehnte in der Suchtbehandlung über Erfahrungen verfügt, verweist unter anderem, dass 340.000 Menschen an Alkoholabhängigkeit in Österreich leiden, beziehungsweise 1,1 Milliarden weltweit an Nikotinsucht erkrankt sind.
Es ist zu bedenken, dass hinter jeder dieser Zahlen eine Geschichte und ein Mensch steht, der Krisen sowie Aggression und/oder Gewaltreaktionen ausgesetzt sein könnte.
Viele dieser betroffenen Menschen suchen Therapie und Hilfe, um am Leben ohne Sucht wieder teilnehmen zu können.
Stellenwert des Krisenmanagements in der Entzugsbehandlung
Die Covid-19-Krise hat die Suchtbehandlung vor neue Herausforderungen gestellt. Neu überdachte Hygienekonzepte und Regelungen verhelfen und verhalfen zum Aufrechterhalten des Therapieangebotes und zur Weiterbetreuung von Menschen, die dieses Angebot nutzen möchten.
In der Betreuung von Suchterkrankten stellen Interventionen zur Krisenbewältigung, die zu einer Reduktion von Aggression und/oder Gewaltreaktionen führen, einen Teil der Beziehungsarbeit des multiprofessionellen Teams dar.
Angesichts der Zahlen an Menschen, die an einer Suchterkrankung leiden, macht dies den Stellenwert der Relevanz deutlich.
Suchterkrankungen wie Alkoholabhängigkeit und Nikotinsucht
Wichtig ist, den Menschen durch die Krise, welche Aggressionen oder Gewaltreaktionen hervorbringen können, zu begleiten, und Veränderungen im Verhalten wahrzunehmen, um gegebenfalls zeitnah zu reagieren.
Krisen sind individuell verschieden und können sich, wie auch Aggression und Gewaltreaktionen, nach innen oder nach außen richten. Folgen entstehen in zwischenmenschlichen Konflikten und reichen in der Behandlung von Bagatellisieren der Problematik bis Vermeidung therapeutischer oder medizinischer Maßnahmen sowie zum Abbruch der Therapie.
Menschen in der Krise begegnen und Stärkung der Resilienz
Menschen sollten bei Krisen sowie Aggression und/oder Gewaltreaktionen, stets mit Einfühlungsvermögen, Wertschätzung und Gesprächsbereitschaft begegnet werden und die Covid-19-Krise als möglicher Verstärker von Krisen oder Aggression und/oder Gewaltreaktionen bedacht werden.
Die Stärkung der Resilienz ist neben der Abstinenz ein mögliches Langzeitziel in der Betreuung von Menschen mit Suchterkrankungen.
Es gilt gesundheitsfördernde Bewältigungsmechanismen zu erarbeiten, sowie bestehende zu fördern, um Krisen durchzustehen.
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