Das Netzbett

Eine Erinnerung an die Zukunft? Teil 2

Eine Studie

2013 wurden vom Autor dieses Artikels, im Rahmen seiner Masterarbeit, versucht, die Zufriedenheit eines Krankenhausaufenthaltes von Patient*innen in Abhängigkeit verschiedener Zwangsmaßnahmen zu messen.

Welche körperlichen und psychischen Auswirkungen gab es

Körperliche Auswirkungen durch die Beschränkung, wie Hämatome und Schmerzen, wurde von 20% der Betroffenen geschildert, wobei bemerkenswert war, dass vor allem Personen, die sowohl fixiert waren als auch das Netzbett erlebten, besonders häufig davon berichteten.

Bei den psychischen Auswirkungen berichten Patient*innen, dass die Beschränkung emotional extrem belastend war (61%), vermehrt Angst und Misstrauen verursachte (56%) und von einem Gefühl der Traumatisierung (46%). Zugleich erklären aber auch genau 80% aller Befragten (90% der im Netzbett beschränkten!), dass sie sich durch die Zwangsmaßnahme beruhigten und die Kontrolle wiedererlangten.

Bei der Frage nach den Auswirkungen der Beschränkung auf den Krankheitsverlauf berichteten 13 Patient*innen von negativen, aber ebenso 13 von positiven Folgen, 17 schilderten, dass die Zwangsmaßnahme keinen Einfluss gehabt hätte. Sehr erstaunlich war, dass sieben der Interviewten meinten, dass sich die Beziehung zu Pflegepersonal und Ärzt*innen verschlechtert hätte, aber 13 Personen sogar von einer positiven Veränderung erzählten. 18 Patient*innen sahen durch die Zwangsmaßnahme überhaupt keinen Einfluss auf die Beziehung zum Personal.

Die Patient*innenzufriedenheit bezüglich des Spitalsaufenthaltes wurde in Abhängigkeit der erlebten bzw. nicht erlebten Zwangsmaßnahme untersucht. Im Durchschnitt wurden 70% der maximal erreichbaren Punkteanzahl vergeben. Auffällig war, dass die „nur“ Fixierten nicht einmal 30% erreichten. Schwer erklärbar ist, warum Patient*innen, die sowohl fixiert waren, als auch die Erfahrung eines Netzbettes machten, den höchsten Zufriedenheitswert hatten.

Verbot

Mit 1. Juli 2015 wurden per Erlass des Bundesministeriums für Gesundheit Netzbetten in Österreich verboten. Ein Volksanwalt meinte in einer Aussendung: „Ein dunkles Kapitel der österreichischen Psychiatrie wird endgültig geschlossen“. Vor allem die Patient*innenanwaltschaft (Vertretungsnetz) feierte das Verbot als Erfolg. Aus den Daten von Zwangsmaßnahmen konnten Patient*innenanwälte zeigen, dass die Reduktion der Zwangsmaßnahmen in Netzbetten viel stärker zurückging als die Zunahme der Zwangsmaßnahmen durch Fixierungen: „In absoluten Zahlen kann auf ein Kalenderjahr hochgerechnet davon ausgegangen werden, dass einem Entfall von Netzbettbeschränkungen in der Dauer von 22.100 Stunden ein Mehr an Fixierungen im Umfang von 8.010 Stunden gegenübersteht“.

Netzbett Entsorgung

Versuch einer Erklärung

Mann auf Matratze im Freien

Die Reduktion von Beschränkungen wurden auch vom Autor in seiner Tätigkeit als psychiatrischer Gesundheits- und Krankenpfleger festgestellt. Es wird hier eine Erklärungsversuch unternommen!

In einer internen Befragung, welche Arbeiten als Pflegeperson in der Psychiatrie am wenigsten gemocht werden, meinten viele Mitarbeiter*innen, dass die Anwendung von Zwangsmaßnahmen am unangenehmsten und belastendsten ist. Das Fixieren (Fesseln) von Menschen wurde als besonders hart empfunden und deshalb sehr kurz und selten angewandt. Beschränkungen durch das sehr viel weniger bedrückende Netzbett wurden bei weitem nicht so unangenehm erlebt. Eine Pflegerin meinte sogar, eine ältere Patientin liebe es, sich in das Netzbett „hineinzukuscheln“. Auch wenn diese Aussage fragwürdig erscheint, zeigt sie die Einstellung mancher Mitarbeiter*innen.

Auch wurden, nach dem Verbot der Netzbetten, vermehrt Maßnahmen angewandt, die zuvor noch als unethisch und unhygienisch angesehen wurden, wie z.B. ein Matratzenlager am Boden.

Renaissance der Netzbetten international

2015 wurde bereits gefragt: Sind Netzbetten inhuman? Es wurde von „Sicherheitsbetten“, die besonders im gerontopsychiatrischen Versorgungskontext eine Konjunktur erleben, berichtet: Auf medizinischen Messen und Kongressen tauchen Hersteller auf, die aufzeigen, dass das „Bett-Sicherheitssystem eine einzigartige Methode ist, um Patient*innen in ihrer Bewegung einzuschränken ohne Fixierbänder und Fixiergürtel benutzen zu müssen“. Vor allem eine Firma wirbt, sowohl am amerikanischen als auch am europäischen Markt, mit ihrem besonderen Bett: „The Enclosure Bed is a complete bed system that provides a safe, controlled environment for patients at risk of injury from fall or unassisted bed exit“.

Indikation und Kontraindikation für ein Netzbett

Schon 2013 zeigte der niederländische Krankenpflegeverband in seinem Handbuch „Freiheitsbeschränkung im Krankenhaus“ auf, welche Indikation und Kontraindikationen es für ein Netzbett gibt.

Erläutert wird dies mit dem praktischen Beispiel einer älteren Dame mit Lungenentzündung, die durch die Verlegung in ein Netzbett in der Nacht schläft, dadurch auch tagsüber ruhiger wird und sich innerhalb kurzer Zeit wieder erholte.

2017 berichtet die Deutsche Krankenhausgesellschaft, dass durch die Anwendung der besonderen Betten im Helios Klinikum Erfurt, die Sturz- und Verletzungsgefahr von Patient*innen mit hohem Sturzrisiko (bei Delir und/ oder Demenz) reduziert und gleichzeitig ein höchstmöglicher Freiheitsgrad gewährleistet wird. Sie betont noch, dass sonstige Fixierungsmaßnahmen überflüssig wurden. Das Wort „Netzbett“ wird in dem Artikel vermieden.

Ein regionales Pflege-Kompetenzzentrum aus Kaiserslautern (D), zeigt in seinem Leitfaden zur Milieutherapie sogar unter dem Titel „Sicherheit“ ein Netzbett.

Ein Bett für Menschen mit Demenz?

2019 berichtet „Das gelbe Blatt“ vom Klinikum Penzberg, in dem seit 1 Monat das besondere Bett, „einem Netz- oder auch Käfigbett für Demenzkranke“ in Verwendung ist. Die Leiterin der Pflegestation, schwärmt in den höchsten Tönen von diesem Bett, spricht gar von einer „Geborgenheitshöhle“ für Patient*innen. Sie meint, dass der „innovative Käfig“ auch für das Personal eine erhebliche Entlastung bedeutet.

Frau im Bett

Und in Österreich?

Im April 2016 erschien in der Zeitschrift „Ärzte“ ein Artikel, bei dem es sich sehr kritisch mit dem Verbot von Netzbetten in Österreich auseinandergesetzt wird. Zitiert wird in dem Artikel unter anderem ein Primar, der zwar zugibt, dass Netzbetten von „außen gesehen furchtbar ausschauen“, dass diese Zwangsmaßnahme von Patient*innen aber angenehmer erlebt wird als eine Fixierung. Und wenn in einem Zustand ernstlicher und erheblicher Gefahr eine Zwangsmaßnahme notwendig sei, sollte doch „für einen möglichst kurzen Zeitraum das gelindeste Mittel“ gewählt werden.

Meinungen von Fachexperten

Diskussionsrunde

Auch der ärztliche Leiter des Johannes von Gott-Pflegezentrums der Barmherzigen Brüder in Kainbach bei Graz meint, dass ihm die als Alternative zum Netzbett in der Psychiatrie angewandte, gesetzeskonforme 5-Punkt-Fixierung in vielen Fällen „als gravierenderer Eingriff“ erscheint.

Und ein Medizinrechtsexperte von der Uni Wien, ist nicht einmal sicher, ob der Erlass „überhaupt verbindlich ist“. Er selbst würde dies sogar verneinen.

Fazit

Nichtsdestotrotz scheint es zu einer Rückkehr der Netzbetten in Österreich derzeit nicht zu kommen. Zu groß sind gegenwärtig die Bedenken von Medien, Bevölkerung, Angehörigen und Patient*innenenanwaltschaft (Vertretungsnetz), und auch viele Betreuende sehen die Gefahr, dass durch die Widereinführung von Netzbetten die Anzahl der Zwangsmaßnahmen wieder steigt.

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