Was bedeutet „Orange the World“?
…. und wo können die Mitglieder des Gesundheitswesens unterstützen?
Autorin: Ursula Fiala
Ein Nein zu Gewalt gegen Frauen und Mädchen
16 Tage lang, vom 25. November bis zum 10. Dezember, dem Internationalen Tag der Menschenrechte, wird alljährlich im Rahmen der UN Women Kampagne „Orange the World“ die Gewalt gegen Frauen und Mädchen in den Fokus gerückt. In Österreich wird die Aktion mit den Kooperationspartnern der Österreichischen Union von Soroptimist International und HeForShe Graz durchgeführt.
Weltweit werden Denkmäler, bedeutende Gebäude, Plätze, Straßenzüge und seit 2019 auch Krankenhäuser in orange beleuchtet, um aufmerksam zu machen und zu sensibilisieren. Dies ist ein einfaches, sehr wirkungsvolles und weithin sichtbares Mittel, Solidarität auszudrücken und zu sensibilisieren: Nein zu Gewalt gegen Frauen und Mädchen und Nein zu Ungleichbehandlung. Orange soll als leuchtende und optimistische Farbe eine Zukunft frei von Gewalt gegen Frauen und Mädchen repräsentieren.
Das eigene Schlafzimmer als gefährlichster Ort der Welt…
Die von den Unabhängigen Frauenhäusern aktuell gehaltene Liste https://www.aoef.at/images/04a_zahlen-und-daten/Frauenmorde_2021_Liste-AOEF.pdf (Stand 23.11.2021) weist 2021 eine Mordrate an 28 Frauen in Österreich auf, davon war bei 27 Fällen der Ex-Partner oder derzeitige Partner der Täter. Diese Form der Straftat (Intimpartner als Täter) wird häufig Femizid genannt, ein Begriff, den die Soziologin Diana E. H. Russell 1976 erstmals öffentlich beim Internationalen Tribunal zu Gewalt gegen Frauen in Brüssel verwendete.
Zu diesem Zeitpunkt gebrauchte sie ihn, wie sie später schrieb, implizit im Sinne von „von Männern verübte Hasstötungen von Frauen“ (im Original „hate killing of females perpetrated by males“) – aus dem Lateinischen „femina“ – Frau und „caedere“ – (hier) töten.
Der Begriff Femizid
Femizid als Begriff hat zwar in Österreich und Deutschland keine juristisch relevante Bedeutung, wird aber gerne verwendet, wenn die politische Verantwortung für diese getöteten Frauen angeprangert werden soll. Solche Morde sind nur das Ende einer meist langen und qualvollen Zeit, in denen Frauen, häufig, weil sie sich trennen wollen oder sich getrennt haben, Opfer physischer und psychischer Gewalt werden. Gewaltandrohungen betreffen nicht nur sie selbst, sondern auch die gemeinsamen Kinder, wodurch die Frauen besonders angreifbar werden.
Die Macht über den anderen Menschen
Femizide ereignen sich in Beziehungen, in denen Frauen als Eigentum des Mannes und als wenig wert gesehen werden. Die geringe Wertschätzung manifestiert sich in finanzieller Abhängigkeit, in Isolation von der Ursprungsfamilie und Freund*innen, Kontrolle der Außenkontakte (Handy, Internet), Wegsperren von wichtigen Dokumenten (Reisepass und Ausweise) und physischer Gewalt, wenn sich die Frauen dagegen auflehnen wollen.
Wie häufig in Gewaltbeziehungen spielt die Übernahme der Macht über den anderen eine große Rolle.
Ergebnis einer Studie
Den Gesundheitseinrichtungen kommt in solchen Situationen eine wichtige Aufgabe zu, die oft nicht gesehen wird, sich aber durch Studien belegen lässt:
Die Studie „(Ex)-Partnergewalt – ein blinder Fleck in der ärztlichen Versorgung“ von Hegarty et al; 2010 deckt auf:
Hilfe
Im Mittel dauert es 4 Jahre, bis eine von aktueller Partnergewalt betroffene Frau adäquate Hilfe bekommt
Gesundheitssystem
85% der Betroffenen haben im Durchschnitt 5x pro Jahr Hilfe im Gesundheitssystem gesucht, nur jede 10. Frau wurde nach Gewalterfahrung gefragt.
Notaufnahme
Im Jahr vor der Aufdeckung der Partnergewalt haben 56% der Betroffenen eine Notaufnahme aufgesucht, vor allem die, die unter Gewalt leiden, sich nicht unmittelbar trennen wollen und dadurch komplexe Probleme entstehen.
Hindernisse für eine medizinische Versorgung
Umgekehrt gibt es etliche „Hindernisse in der medizinischen Versorgung bei häuslicher Gewalt durch Unwissen und Stigmatisierung“ (Mork et al; 2014; Crow &Murray; 2015)
- Angehörige des Gesundheitswesens unterschätzen die Rate häuslicher Gewalt bei Patientinnen
- Sie erkennen und erfragen häufig nur körperliche Symptome
- Psychische Probleme werden oft nicht im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt gesehen, vor allem bei Suchtmittelkonsum
- Das Personal fühlt sich nicht sicher im Umgang mit Gewalt und der weiteren Versorgung
- Sie beklagen Wissensmangel und möchten keine Stellung beziehen
- Besonders häufig bleiben Hilfsangebote aus, wenn das Personal das Gefühl hat, dass sich die Frauen nicht trennen wollen (oft nicht können).
Folgen von Stigmatisierung
Die Studie „Folgen von Stigmatisierung bei sexualisierter und häuslicher Gewalt“ (2018) zeigt, dass durch Stigmatisierung die Offenbarung und Bitte um Hilfe besonders schwerfällt und das negative Reaktionen die Schwere posttraumatischer Belastung beeinflussen. Oft herrschen Selbstbeschuldigung und Scham vor, die in Folge zu Depressionen, Emotionsregulationsstörungen und dysfunktionalen Bewältigungsstrategien führen.
Fragen nach Gewalterfahrungen
Frauen und Mädchen mit Gewalterfahrung wünschen sich, nach ihren Erlebnissen gefragt zu werden. Dann empfinden sie ihr Bekenntnis nicht als Verrat, sondern als medizinische Notwendigkeit. Die Frage erleichtert ihnen das Reden über ihre Ängste und Sorgen. Das bestätigt eine Kampagne der Tirol-Kliniken, die es sich 2021 zur Aufgabe gemacht hat, im Rahmen der Manchester Triage 3 Fragen zu stellen:
1. „Gibt es jemanden, der weiß, dass Sie hier sind?“
2. „Gibt es jemanden, der nicht wissen soll, dass Sie hier sind?“ und
3. „Gibt es jemanden, der Ihnen Unbehagen oder Angst macht?
Durch diese Fragen begann ein Drittel der befragten Patientinnen offen über ihre Gewalterfahrung zu sprechen. Gleichzeitig mit der Information bezüglich der Fragen wurden die Mitarbeiter*ìnnen über die weitere Vorgangsweise geschult, sie wussten, was sie zu tun hatten.
In allen Schwerpunktkrankenhäusern gibt es per gesetzlichem Auftrag Opferschutzgruppen, die das Personal mit Wissen und Tipps zum Thema häuslicher Gewalt und Gewalt an Kindern versorgen kann.
Hinschauen statt wegschauen
Jetzt in Pandemiezeiten sind Fortbildungen schwer durchzuführen, aber sobald soziale Nähe wieder möglich ist, sollten diese Schulungen wieder stattfinden. Die Fortbildung der Wiener Frauengesundheit und des Wiener Gesundheitsverbundes „Gewalt macht krank“ wurde digital abgehalten und sehr gut angenommen. Die Mitglieder Ihrer Opferschutzgruppe helfen Ihnen sicher auch jetzt weiter, wenn es darum geht, Menschen mit Gewalterfahrung zu helfen. Besonders in Akutsituationen hilft es den Betroffenen, wenn Spuren richtig und optimal gesichert werden und eine entsprechende Fotodokumentation angefertigt wird. Auch das zur Verfügung stellen von Notrufnummern (24-Stunden-Notruf, Frauenhäuser) oder einer stationären Aufnahme, wenn tatsächlich Gefahr im Verzug ist, sind Unterstützungsangebote, die Leben retten können.
„Hinschauen statt wegschauen“ wird als wichtige Aufgabe des Gesundheitswesens gesehen.
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