Gewalt verhindern, wo sie entsteht – Teil 2
Willkommen in der Welt des Sisyphus.
Autor: Manfred Konlechner
Oder auch: Willkommen im Drehbuch zu „Täglich grüßt das Murmeltier“
Wie verläuft der Weg der Aggression in uns selbst? Wie reagieren wir auf bestimmte Situationen? Bzw. wie nehmen wir Situationen wahr und bewerten sie dann?
Der indische Philosoph Krishnamurti sagte: „Beobachten ohne zu bewerten, ist die höchste Form menschlicher Intelligenz.“
Beobachten oder bewerten?
So kann das schnelle, schreiende Aufspringen einer*eines Patient*in in Richtung visitierende*r Ärzt*in und der Pflege als Angriff gewertet werden.
„Ein Mensch sitzt ruhig da, plötzlich schreit er, springt auf in Richtung Personal!“ Bewertung = Angriff. Angriff bedeutet Abwehr, bedeutet weitere Maßnahmen. (Polizei, Sicherheitsdienst, körpernahe Beschränkungen, Medikamenten etc.)
Ein persönliches Erlebnis
Ich habe genauso eine Situation erlebt. Wie oben beschrieben. Unsere Reaktion war, dass wir auf die Seite gingen und der Patient sprang im Zimmer hin und her und schlug sich die ganze Zeit auf die linke Hüfte. Er schrie dabei „Aua, aua das brennt so schlimm!“.
Was ist passiert? Im Gespräch ging es um eine baldige Entlassung. Er, der Patient, wollte so schnell wie möglich weg. Wir als „Profis“ meinten, er solle noch bleiben. Er, der Patient, war nervös und wippte die ganze Zeit mit seinen Füßen.
Und jetzt kommt die Ursache, er hatte in seiner linken Hosentasche ein Bündel Zünder und eine Zündholzschachtel eingesteckt. Durch die Wippbewegung rieben die Zünder an der Schachtel und zack, Feuer in der Hose.
Hätten wir in diesem Moment zugegriffen, wäre die Verbrennung 2. Grades wohl eher in Richtung 3. oder 4. Grades gegangen.
Entstehung von Aggression und Gewalt
Im Spitalsalltag gibt es drei Hauptaugenmerke, auf die wir bei der Entstehung von Aggression und Gewalt achten sollen. Das Ich (siehe oben), das Interne und das Externe.
Im externen Bereich sind mit dem Menschen Dinge passiert, die wir nicht beeinflussen können. Der Mensch kommt aggressiv zu uns, die Ursache ist zu dieser Zeit nicht ermittelbar. Oder der Mensch bekommt eine schlechte Nachricht von einer/einem Besucher*in oder über Telefon und sie/er reagiert aggressiv darauf und projiziert dies auf uns. Intern beschreibt die Institution als Ursache, in der Psychiatrie kann das eine Unterbringung sein, oder notwendige Untersuchungen, welche Angst machen. Es können aber auch die geregelten Essenszeiten sein.
Es sind zumeist Situationen, mit welchen wir selbst klarkommen müssen. Wir sagen, das ist hier halt so und so zu akzeptieren. Es bleibt aber nicht nur bei fremden Regeln, wir haben selbst Regeln ins Leben gerufen, mit dem Hintergedanken ein friedliches Miteinander zu gestalten und Aggression zu vermeiden. Die Hausregeln, die Stationsregeln, die verschriftlichen Umgangsformen etc. Hier entsteht Aggression wegen uns, weil wir auf Regel pochen, welche für einen anderen als übertrieben, unnötig angesehen werden. Diese Einhaltung der Regel gibt ihr/ihm das Gefühl in ihrer/seiner persönlichen Freiheit einschränkt zu sein oder sie/ihn sogar kränkt.
Es fehlt an Flexibilität
Wir können uns an gewisse Gegebenheiten gewöhnen. Wir dürfen aber nicht davon ausgehen, dass unsere Flexibilität auch für andere gilt. Schon gar nicht in Krankenhäusern, Spitälern oder anderen Gesundheitseinrichtungen. Körperlicher Schmerz, veränderte Wahrnehmungen und Bewältigungsformen, genauso wie neurologische und psychiatrische Erkrankungen können dazu führen, dass wir in der Flexibilität eingeschränkt sind.
„Regeln für‘s miteinander werden oft Auslöser für Aggression!“
„ZDF statt ARD“
„Zahlen Daten Fakten“ statt „Alles Recht Dynamisch“. Wie kann man präventiv gegen Gewalt und Aggression vorgehen? Das Sammeln von Fakten und Daten, um diese dann in Zahlen auszudrücken, ist ein bewährtes Mittel. Vom „bei uns herrscht so viel Gewalt, es ist kaum auszuhalten“, bis zu „wir haben im letzten Quartal eine deutliche Steigerung der Aggressionsvorfälle verzeichnet“. Zahlen müssen erhoben werden, um damit präventiv arbeiten zu können. Um häufig auftretende Ursachen zu erkennen und dagegen zu wirken.
Die Ursache von Aggression und Gewalt ist oft erst nach erfolgten Vorfällen eruierbar, hier kann man dann für die Zukunft Verhaltensweisen ableiten. Das Ergebnis kann jedoch auf alle ähnlichen Fälle angewendet werden. Einfach „Drüber zu stülpen“ kann oft gut gehen oder auch wieder Aggression hervorrufen.
„Same, same but different“ ist hierzu ein Lebensmotto.
Die Krise hat eine eigene Intelligenz. Nur weil wir die letzte Krise, Aggression oder Gewaltursache erkannt bzw. analysiert haben, gilt das nicht für zukünftige Ereignisse. Es sind die nicht erkannten Kleinstteile, die anders sind. Auch wenn der Rahmen der gleiche ist heißt es nicht, dass das Bild das drinnen steckt, dasselbe ist.
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