Wer ausrastet verliert!

Aggression bei Jugendlichen in Computerspielen – Ursachen, Folgen und Lösungsansätze

Computerspiele – nur Spaß und Unterhaltung?

Computerspiele sind aus dem Alltag vieler Jugendlichen heutzutage nicht mehr wegzudenken. Sie stehen für Spaß, Unterhaltung, Gemeinschaft und Herausforderungen. Gleichzeitig bringen sie aber auch Aspekte mit sich, die aggressive Gefühle und Verhaltensweisen fördern können. Besonders Jugendliche sind anfällig für Frustration und Ärger, wenn sie beim Spielen scheitern, provoziert werden oder Konkurrenzdruck erleben. Meine psychotherapeutische Arbeit beschäftigt sich dann mit überforderten Eltern und genervten Jugendlichen, die oftmals zu einer Therapie gedrängt werden.

Wir „Fach-Psychos“ sprechen in diesem Kontext oftmals dann von einer Störung des Sozialverhaltens, die sich laut Diagnosemanual dadurch charakterisieren lässt, dass ein wiederholendes und anhaltendes Muster dissozialen, aggressiven und aufsässigen Verhaltens vorliegt.

Ursache für Aggression in Computerspielen

Jugendliche erleben in Computerspielen oft hohe emotionale Intensität. Konkurrenzsituationen, Misserfolge oder Provokationen durch Mitspieler können Gefühle von Wut und Aggression auslösen. Auch spielinterne Belohnungssysteme, die aggressives Verhalten fördern und belohnen, tragen dazu bei, dass Jugendliche in stressigen Situationen impulsiv reagieren. Darüber hinaus spielt die Vorbildfunktion sogenannter „Ausrastervideos“, auch Rage-Compilations genannt, auf Videoplattformen wie etwa YouTube oder TikTok eine zunehmend problematische Rolle. Jugendliche, die solche Videos, in denen andere Spieler Wutausbrüche zeigen, konsumieren, können dadurch unbewusst lernen, dass solches Verhalten akzeptabel oder sogar populär ist. Diese Vorbilder normalisieren aggressives Verhalten und verringern die Hemmschwelle, Wut und Ärger öffentlich auszudrücken.

Joachim Bauer ein Internist und Psychiater, forscht an der Universität Freiburg insbesondere zur Neurobiologie und den sozialen Kontexten menschlicher Aggression. Er beschreibt Aggression als eine Folge sozialer Ablehnung, mangelnder sozialer Anerkennung und emotionaler Verletzungen. Gemäß seiner Theorie ist Aggression ein natürlicher, biologischer Abwehrmechanismus, der aktiviert wird, wenn soziale Bindungen bedroht sind oder verloren gehen.

In Übertrag auf das Umfeld von Computerspielen bedeutet dies, dass Jugendliche, die im Spiel oftmals Frustration erleben oder sozial ausgeschlossen werden, aggressive Impulse entwickeln können, um sich gegen diese empfundene Bedrohung ihrer sozialen Integrität zu wehren.

Wenn die Aggression real wird…

Leider bleibt diese Aggression nicht nur im Computerspiel verortet, sondern bricht dann oftmals auch im realen Leben durch, wodurch aggressive Emotionen außerhalb des Spiels nicht mehr zu regulieren sind. Im Kontext von Bauers Theorie bedeutet dies, dass Jugendliche, die wiederholt negative Erfahrungen und Zurückweisungen im Spiel erleben, oftmals mit gesteigerter Aggressivität reagieren können, um sich selbst emotional zu schützen oder soziale Anerkennung zurückzugewinnen. Dies kann zu ernsthaften Konflikten im Freundeskreis, der Familie oder der Schule führen und langfristig soziale Isolation oder psychische Belastungen begünstigen.

Game Over Joystick

Kritische Nutzung digitaler Räume

Mädchen vor Computer

Lukas Wagner, ein weiterer Kollege, den ich an dieser Stelle erwähnen möchte, ist Psychotherapeut und Medienpädagoge aus Graz. Er betont in seinem Buch „Unsere Kinder in der digitalen Welt“, dass digitale Medien an sich nicht grundsätzlich problematisch sein müssen, sondern auch großes Potenzial bieten, wenn sie bewusst genutzt und kritisch reflektiert werden. Jugendliche nutzen digitale Räume, um soziale Erfahrungen zu sammeln, Anerkennung zu erhalten und Gemeinschaft zu erleben. Daher ist es entscheidend, Jugendliche darin zu unterstützen, zwischen digitalen und realen sozialen Erfahrungen klar zu unterscheiden und den Einfluss von Online-Vorbildern kritisch zu hinterfragen.

Strategien zur Aggressionsbewältigung

Grundsätzlich ist es wichtig die emotionale Kompetenz unserer Kinder zu stärken. Jugendliche brauchen Techniken um Frustration frühzeitig zu erkennen und angemessen darauf zu reagieren – ob dies durch gezielte Atemtechniken, kurze Spielpausen oder durch ein Einüben alternativer Verhaltensweisen in Stresssituationen erfolgt ist individuell und den jeweiligen Vorlieben betroffener Jugendlicher anzupassen.

Des Weiteren braucht es eine Förderung der Medienkompetenz. Die bewusste Reflexion über Spielinhalte und die eigene Reaktion darauf helfen Jugendlichen, Abstand zu nehmen und Emotionen besser einzuordnen. Hierbei ist es besonders wichtig, auch die kritische Auseinandersetzung mit Online-Inhalten wie Ausrastervideos einzubeziehen und gemeinsam mit Jugendlichen zu erörtern, warum solche Videos problematisch sein können.

Demzufolge ist daher jedoch auch notwendig, dass sich die Eltern mit der Computerwelt der Jugendlichen auseinandersetzen und auch kennenlernen. Wenige Eltern können mit Aussagen wie „Nur Noobs spielen mit Kit oder Edgar – sind doch beide klassische No-Skiller?“, „Ich stinke total ab, weil mein Freund Heartseeker Aphrodite, Travis Scott und sogar den Black Knight hat“ – was jedoch zumeist geschwindelt ist – oder auch „Hast Du Dias für eine Spitzhacke?“ etwas anfangen, wobei dies jedoch die Welt ihrer Kinder repräsentiert.

Natürlich braucht es auch klare Grenzen und regelmäßige Pausen. Eltern sollten darauf achten, dass Jugendliche ihren Alltag abwechslungsreich gestalten und Aktivitäten außerhalb der digitalen Welt, wie Sport, Musik oder soziale Treffen nachgehen. Diese helfen dabei, Stress abzubauen und die emotionale Balance zu stärken.

Wichtig wäre auch positives Verhalten zu stärken und zu belohnen. Dafür sollten auch Spiele und Spielmodi gewählt werden, die Kooperation und soziales Verhalten fördern, statt ausschließlich auf Wettbewerb und Aggression zu setzen. Dabei sollte positives Verhalten aktiv hervorgehoben und auch gelobt werden, um Jugendlichen zu zeigen, dass ein respektvoller Umgang miteinander ebenfalls Anerkennung findet.

Erwachsene, Eltern und ältere Geschwister haben diesbezüglich eine wichtige Vorbildfunktion. Sie sollten Jugendlichen zeigen, wie man mit Frustrationen umgeht, ohne aggressiv zu reagieren, und mit ihnen offen über ihre eigenen Erfahrungen sprechen. Jener konstruktive Dialog trägt dazu bei, ein Klima des Vertrauens und der Offenheit zu schaffen.

Ein komplexes Phänomen…

Natürlich wurden hier nur einige ausgewählte Aspekte zum Thema Aggression bei Jugendlichen in Computerspielen beleuchtet. Im Allgemeinen handelt es sich um ein komplexes Phänomen, das Aufmerksamkeit und proaktive Maßnahmen erfordert.

Grundsätzlich kann jedoch davon ausgegangen werden, dass Aggression oftmals aus sozialen Konflikten und emotionalen Verletzungen entsteht. Daher ist die gezielte Förderung emotionaler und sozialer Kompetenzen sowie ein bewusster Umgang mit Computerspielen und eine kritische Betrachtung von Vorbildern in sozialen Medien essenziell wichtig, um der Entwicklung von problematischem aggressivem Verhalten effektiv entgegen wirken zu können.

Zwei Kinder mit Controller

Ein ausgewogener Umgang mit Computerspielen, die Förderung alternativer Aktivitäten und die Unterstützung durch Familie und Fachkräften sind entscheidende Bausteine, um betroffene Jugendliche dabei zu unterstützen, mit Aggressionen konstruktiv umzugehen zu können.

Und zum Abschluss noch die Auflösung der weiteroben erwähnten Zitate (falls nicht bereits gegoogelt) – der erste Satz wäre dem Spiel BrawlStars, der zweite Fortnite und der Dritte Minecraft zuzuordnen – und Edgar ist wirklich ein No-Skiller!

Und was ein No-Skiller ist, ist eine andere Geschichte…

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