Aggressionen in Pflegeheimen

Teil 2

Bedürfnisgesteuertes Modell für demenzbedingte Verhaltensstörungen

Die Entwicklung des Need-Driven, Dementia compromised Behaviour Models (NDB-Modell) war ein Wendepunkt in der Betrachtungsweise von Verhaltensweisen, wie aggressivem Verhalten bei demenzerkrankten Menschen. Zuvor wurde ein derartiges Verhalten oft als chaotisches, zufälliges Ergebnis hirnorganischer Störungen betrachtet, welches für das Personal problematisch war.

Aggression als Ausdruck unerfüllter Bedürfnisse

Basierend auf empirische Untersuchungen und klinischer Praxis wird herausforderndes Verhalten heute, zu dem auch Aggression gehört, als Ausdruck unerfüllter Bedürfnisse oder Ziele betrachtet. Diese Verhaltensweisen können in der klinischen Pflegeroutine erstmals als störend oder unterbrechend empfunden werden, sie können aber gleichzeitig bei ernsthaften Versuchen, diese Reaktionen in ihrer subjektiven Bedeutung zu ergründen, ein Ausdruck vielfältiger Bedürfnisse von kognitiv beeinträchtigten Personen sein. Durch ein Verstehen des Verhaltens wird es Pflegepersonen ermöglicht, bedürfnisgerechte Prioritäten zu setzen und angemessene Maßnahmen einzuleiten.

Eine optimale therapeutische Intervention zur Bewältigung verbaler und verhaltensbezogener Aggression bei demenzerkrankten Menschen ist das „Eintauchen in die Welt der Bewohner*innen“. Sie stellt eine besonders wichtige Maßnahme im Rahmen der patient*innenzentrierten Pflege dar.

Pflegende werden hierdurch ermutigt, Teil der gelebten Erfahrung der Bewohner*innen zu werden und sich um ein gegenseitiges Verständnis zu bemühen.

Modell des interaktiven Verhaltens Pflegender

Da die Interaktion zwischen Pflegekräften und Bewohner*innen einen wichtigen Faktor für die Entstehung von Aggression darstellt, wird hier auch das von Höwler (2008) entwickelte Modell des interaktiven Verhaltens von Pflegekräften vorgestellt. Dieses Modell bietet Pflegekräften eine Erklärung für den unterschiedlichen Umgang mit Aggressionen oder herausfordernden Verhaltensweisen.

Ob Pflegepersonen situativ herausforderndes Verhalten von Menschen mit Demenz minimieren, zu löschen oder es situativ zulassen können, hängt von ihren Persönlichkeitsanteilen, ihren psychosozialen Kompetenzen, z. B. Empathie, Interaktionsfähigkeiten, Selbstreflexionsfähigkeit, ihrer Motivation, auf die Bedürfnisse demenziell veränderter Bewohner*innen einzugehen sowie von der konkreten Situation ab. Die persönliche Haltung des Pflegepersonals gegenüber den Bewohner*innen mit aggressivem Verhalten zeigt sich in ihrem Umgang. 

Alter und junger Mann

Modell des interaktiven Verhaltens Pflegender (Höwler, 2018)

Das Modell zeigt das Zusammenspiel von Emotionen und Strategien der Pflegenden.

Pflegende - variable Verhaltenseffekte

Persönlichkeit (Pflegemotive)
Hermeneutische Fallkompetenz
Interaktive Fähigkeiten
Selbstreflexion
Empathie und fachspezifisches Wissen

Emotionales Erleben der Pflegenden

Hilflosigkeit (↑)
Überforderung (↑)
Ärger, Bedrohung (↑)
Neutralität (↑)
Bedürfniskonflikt

herausforderndes Verhalten der*des Patient*in mit internalen und externalen Ursachen

 

langfristige Reduzierung bzw. Löschung

 

 

kurzfristige Reduzierung bzw. Modifizierung/Löschung

Motivation zu Helfen hoch

problemfokussierte Strategien:

personenzentrierte Interaktionen
therapeutische Pflegebeziehung
Bedürfnisanalyse

Motivation zu Helfen gering

emotionsfokussierte Strategien:

Time-out
Personenwechsel
Ablenken
Beschützende
Machtmethoden

Kann man das Verhalten verstehen?

Pflegepersonen mit psychosozialen Kompetenzen z.B. Empathie und Selbst- reflexionsfähigkeit, in Kombination mit einer personenzentrierten Haltung sind fähig, Bewohner*innen in kommunikativ schwierigen Situationen mit problemfokussierten Strategien, wie z.B. personenzentrierten Interaktionen, therapeutischer Pflegebeziehung, Bedürfnisanalyse verständnisorientiert zu begegnen.

Kurzfristige Lösungen

Alte Frau und alter Mann auf Sitzbank

Desto größer der emotionale Stress der Pflegepersonen im Umgang mit aggressiven Bewohner*innen erfahren wird, sie keine Kontrolle über das Verhalten mehr haben, desto geringer ist ihre Motivation, problemzentriert vorzugehen.

Die Bewertung dieser Bewohner*innen wird negativ erfolgen und im weiteren Vorgehen werden Pflegehandlungen an diesen vermieden. Sie wenden dann eher emotionsfokussierte Strategien, z.B. Time-out oder einen Personenwechsel zur kurzfristigen „Lösung“ an.

Psychosoziale Kompetenzen haben einen hohen Stellenwert

Pflegepersonen mit psychosozialen Kompetenzen z.B. Empathie und Selbst- reflexionsfähigkeit, in Kombination mit einer personenzentrierten Haltung sind fähig, Bewohner*innen in kommunikativ schwierigen Situationen mit problemfokussierten Strategien, wie z.B. personenzentrierten Interaktionen, therapeutischer Pflegebeziehung, Bedürfnisanalyse verständnisorientiert zu begegnen.

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