Deeskalation mittels sensorischen Skills
Multiprofessioneller Deeskalationskompass zum Skills-Training, Teil 2
Autorin: Paula Canova
Welche Skills werden im Hochstress empfohlen?
Im ersten Teil des Blogs zum Thema Skills-Training wurden die dialektische Verhaltenstherapie, die Spannungskurve, die dialektische Strategie und die Skills-Matrix kurz erklärt.
Um das Thema abzurunden, wird nun im zweiten Teil auf den didaktischen Leitfaden und den empfohlenen Skills im Hochstress eingegangen.
Der didaktische Leitfaden zum Skills-Training im Hochstress
Damit die Vermittlung und Anwendung der Skills durch das Gesundheitspersonal im Rahmen der Stresstoleranz bei der Anspannung über 70% bestmöglich ablaufen kann, ist es notwendig Rahmenbedingungen festzustellen.
Bei den Patient*innen ist Folgendes zu beachten:
- dass es jetzt im Moment zu stressig ist
- dass diese Situation nur kurzfristig so bleiben wird
- dass eine Überforderung vorhanden ist
- dass eine Überregung andauert
Die Bereitschaft Hilfe anzunehmen
Das Skills-Training ist für Patient*innen geeignet, die bereit sind Hilfe anzunehmen, sich aufrichtig Mühe geben, über Einsicht zur Veränderung verfügen, eigene Verhaltensreaktionen ändern wollen und bereit sind, die neuen Verhaltensfertigkeiten auszuüben.
Umsetzung von Skills-Training im Hochstress in die Praxis:
- Die Entscheidungsfindung welcher Skill aktuell der Effektivste ist, möge gut überlegt und erprobt sein.
- Die Skills sollten mit Namen benannt werden.
- Eine objektive Beschreibung der Situation sowie eine Definierung des Zieles sind erforderlich.
- Der Fokus liegt ausschließlich bei der Vermittlung von Skills!
- Die Durchführung erfolgt unter Beobachtung der Patient*innen durch das Personal.
- Einige Patient*innen brauchen Unterstützung, vor allem, wenn die Skills nicht erprobt sind.
- Nicht zu vergessen ist, die Patient*innen zu stärken und ermutigen.
- Nachbesprechung und Reflexion ist notwendig, um die Effektivität der Maßnahmen zu überprüfen und gegebenfalls anzuleiten.
Der Notfallkoffer
Für die Praxis ist ein wichtiges Werkzeug der Notfallkoffer mit sensorischen Skills. Die Anwendung sollte sich auf drei bis fünf zuverlässige und wirksame Skills beschränken. Die Differenzierung bei der Auswahl des Skills im Notfallkoffer ist notwendig. Auf Grund von Erfahrungen und Ausbildungen des Gesundheitspersonals im senso-motorischen und senso-perzeptiven Bereichen können weitere Materialien für Skills multiprofessionell modifiziert werden.
Regelmäßige Evaluation und interdisziplinäre Austausch fördern qualitative Komponente der Deeskalation mittels sensorischen Skills.
Sensorische Skills – Spüren
- Cool-Packs: Eispackung auf die Stirn, Nacken oder Unterarme anlegen
- Eisgelkissen: Eispackung auf die Stirn, Nacken oder Unterarme anlegen
- Eiswürfel: Im Mund kauen, oder an den Handgelenken schmelzen lassen
- Kaltes Wasser: über Gesicht, Unterarme, Nacken, kalte Dusche, Kopf in ein kaltes Becken eintauchen
- Akkupressurring: auf die Finger oder in die Hand geben und massieren
- Akkupressurmatte: hinlegen auf eine Matte mit Akkupressurpunkten
- Igelball: Ball in der Hand drücken oder mit dem Ball die Arme und Beine massieren
- Igelwalk: Die Fußsohlen auf dem Igelwalk massieren
- Finalgon: Wärmesalbe zum Beispiel am Unterarm auftragen
- Papier zerreißen
- Steine: Barfuß auf den Steinen gehen, kleine Steine in die Schuhe geben
Weitere Sensorische Skills – Spüren
- Gewichtsmanschetten: An die Handgelenke oder Fußgelenke befestigen, oder einfach am Oberkörper auflegen
- Nagelbrett: Brett für Therapiezwecke, ist nicht scharf, die stumpfen Nägel sind beweglich
- Kirschkernebad: Hände oder Füße in einen Behälter mit Kirschkernen geben
- Kirschkerne: Kerne in die Schuhe geben
- Luftballon: einen Luftballon aufblasen
- Massagegerät: Stimulieren durch Massage
- Handschuhbürste: Auf der Haut gleiten lassen
- Therapieknete: Kneten in den Händen drücken, es gibt verschiedene Härtegrade
- Holzstab: Die Füße über einen Holzstab rollen
- Murmeln: Auf kleinen Murmeln balancieren
Sensorische Skills – Schmecken
- Chilischoten: im Mund kauen
- Wasabi: scharfe Pasta im Mund kauen
- Intensive Zuckerl: Chilizuckerl, Limettenzuckerl
- Ingwer
- Brausetabletten: Im Mund brausen lassen
- Center-Shock: Brausepulver in den Mund geben
- Kaugummi: Kaugummis mit intensivem Geschmack kauen
- Bonbon: Bonbons mit Pfefferminz, Chilli oder Zitronengeschmack im Mund geben
- Senf: extra scharfen Senf in den Mund nehmen
- Krenwurzel: Reinbeißen oder geraspelte Stücke essen
- Zitronensaft: Saft in dem Mund nehmen
Sensorische Skills – Hören und Sehen
Hören
- Musik: Laute rhythmische Musik hören, mit Kopfhörer
- Händeklatschen: Rhythmisches Klatschen in die Hände, eventuell ein Klatschspiel
- Mitsingen: Ihre Lieblingslieder
- Summen: Beruhigende Töne
- Radio: einschalten
- Rassel: Rasselmemory – Rasseln sind mit unterschiedlichen Materialien gefüllt und haben dadurch unterschiedlich Klang
- Luftballon: Einen Luftballon aufblasen lassen. Dann entweder Luft durch quietschen ausweichen lassen oder platzen
- Heiße Draht: mit einer Stabklinge durch eine Stabröhre fahren, beim Berühren piepst das Spiel laut
Sehen
- Visuelle Drehscheiben
- Metronom: Die Bewegungen von Metronom befolgen
- Tetris, Packman, Jump & Run: Computerspiele gezielt und dosiert einsetzen
- Game-Boy: Computerspiele gezielt einsetzen
- Blickfix: Blick fixieren und den Kopf hin und her bewegen
Was braucht es für den Erfolg?
Erfolge sind nur unter der Bedingung erzielbar, dass die Patient*innen aufgeschlossen und bereit sind, Stresssituation zu verändern. Finden die Patient*innen die Skills lächerlich oder versperren sich, so wird die Wirkung der Skills nicht wie gewünscht verlaufen.
Zum Schluss ist ein wesentlicher Hinweis zu wiederholen. Zu starke Reize, die Verletzungen zufügen, entsprechen nicht dem Weg des Skills-Trainings und der Grundhaltung von DBT.
Sensorische Skills – Riechen
- Aromaöl: Ätherische Öle anwenden – zum Beispiel Pfefferminzöl kann an die Schläfe, Hals oder Handgelenke aufgetragen werden, Zitrusöle wirken antidissoziativ
- AmmoLa: Ammoniak-Lavendel sind in der Apotheke erhältlich
- Roll-On Klarer Kopf: Duftrolle an die Schläfen, Hals oder Nacken auftragen
- Schnupftabak: Tabak schnupfen
- Sambal Olek: Diese Pasta riechen
- Tigerbalsam: Balsam riechen
Skills-Training als Deeskalationskonzept
Nicht außer Acht ist zu lassen, dass die Prävention von Aggressionen an erster Stelle steht. Ab der Spanungsdimension über 70% ist es nicht mehr möglich klar oder logisch zu denken. Die Ursachen liegen primär in Angst, Frust, Wut, Kränkung oder dem Leidensdruck und schränken die Steuerungsfähigkeit und Urteilsfähigkeit ein.
Hier ist es notwendig Unterstützung und Hilfe den betroffenen Personen anzubieten, damit Eskalation vermieden werden kann. Einerseits ist es wichtig die psychisch kranken Menschen zu schützen, damit es durch aggressives Verhalten nicht zu weiteren Stigmatisierungen kommt. Andererseits ist es erforderlich, die aus den aggressiven Ereignissen resultierenden Zwangsmaßnahmen abzuwenden, beziehungsweise zu minimieren.
So kann auch die Implementierung des Skills-Trainings zu den Deeskalationskonzepten beitragen.
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