Sekundäre Traumatisierung
im akutpsychiatrischen Setting

Trauma, Aggression, Gefühle der Hilflosigkeit und Erschöpfung als Thema im Gesundheits- und Sozialbereich

Traumatisierung des Personals – (k)ein Thema?

Tragische Schicksalsschläge, Gewalterlebnisse, sexuelle Übergriffe. All das findet sich oft in der Biografie von Patient*innen im stationären Setting. Verschiedenste Berufsgruppen unterstützen diese Personen in ihren Krisen und lassen sich deren Leid klagen. Es darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass oft genau diese Geschichten und dieses Leid auch die eigene Biografie, die eigene Psyche berührt und in manchen Fällen sogar triggert.

Was passiert, wenn die Fachkraft durch gewisse Ereignisse aus dem inneren Gleichgewicht fällt und somit die Beziehung zu der zu betreuende Person anfängt qualitativ zu leiden? Dann wird auch die Wichtigkeit des Wissens über eine sekundäre Traumatisierung für die Versorgungsqualität relevant.

Sekundäre Traumatisierung, ein wenig beachtetes Risiko

In helfenden Berufen, wie in diesem Artikel auf Krankenpflegepersonal im akutpsychiatrischen Setting fokusiert, liegt das Hauptaugenmerk auf einer stabilen Pflegebeziehung zu hauptsächlich traumatisierten Personen. Da im klinischen Alltag eine Traumavergangenheit diagnostisch oft unerkannt bleibt und unter dem Deckmantel von Suchterkrankungen oder einer Depression geführt wird, ist die Dunkelziffer von traumatisierten Personen mit Sicherheit höher.

Um die Grundlage für eine gute Bewältigung der Menschen in ihren akuten Krisen zu legen, sind stützende und entlastende Gespräche unumgänglich und zeichnen eine hilfreiche und hohe Betreuungsqualität aus.

Der intensive Kontakt, das offene Ohr für das oft unfassbare Leid der Patienten*innen in Krisengesprächen können jedoch bei einem Drittel der behandelnden Personen eine sekundäre Traumatisierung auslösen.

Diese immer wiederkehrenden Begegnungen und die Konfrontation mit dem seelischen Leid und den oft unfassbar tragischen Schicksalen kann zu einer belastenden und pathologischen Symptomatik führen – mit Parallelen und Überschneidungen zu einer Posttraumatischen Belastungsstörung.

Ein Trauma muss nicht direkt selbst erlebt werden, um eine seelische Wunde zu hinterlassen. Meist ist es jedoch die Summe an Leidensgeschichten und expliziten Schilderungen der Patienten*innen die folglich zu einer pathologischen, behandlungswürdigen Symptomatik bei der helfenden Person führt.

Einer sekundären Traumatisierung sind eher Menschen ausgesetzt, die ein hohes Maß an Empathievermögen mit sich bringen. In unseren Breiten wird unter Empathie das Einfühlen in die Situation bzw. Lage des Gegenübers verstanden.

Was können Auswirkungen im Arbeitsalltag sein?

Unsere innere Haltung und Einstellung stellen die Weichen für unser Handeln. Personal, welches durch eine sekundäre Traumatisierung eine Symptomatik entwickelt hat, hat deswegen keine schlechte innere Haltung. Traumatisierung, unabhängig von ihrer Intensität, stellt die eigenen Wertvorstellungen und Ideologien in Frage. Somit haben die Kernpunkte einer PTBS oder Belastungsreaktion Auswirkungen auf interaktioneller Ebene. Ist das innere Gleichgewicht von Fachpersonal ins Wanken gekommen und sind Körper und Geist nicht im Einklang, verändert dies die Reaktionen und das eigene Verhalten.

Mann hört interessiert zu

Was sind die Konsequenzen?

Andauerndem toxischem, also extremem, traumatischem Stress ausgesetzt zu sein, wirkt sich nachweislich auf Schlaf, Stimmung und die Emotionsregulation aus. Und genau dieser Stress wird durch eine sekundäre Traumatisierung ausgelöst. Ob die daraus entstandene Symptomatik einer akuten Belastungsstörung oder eher derer einer PTBS entspricht, ist für die Verhaltenscharakteristik und den möglichen interaktionellen Faktoren unerheblich. Lediglich die Dauer und Behandlungsschwere unterscheiden sich, die Anzeichen sind jedoch überschneidend. Eine PTBS neigt zur Chronifizierung, eine Belastungsreaktion dagegen ist eine adäquate, also normale Reaktion auf ein einschneidendes Ereignis.

Resultierend aus diesem Wissen können sich folgende Auswirkungen auf beruflicher Ebene ergeben: Vermeidungsverhalten, verminderte Stress- und Emotionsregulation, negative Stimmung sowie Schlafstörungen.

Ein kurzer Auszug aus dem DSM 5 untermauert, dass ein Mensch, der wiederholt mit aversiven, also unangenehmen Details konfrontiert wird, eine Form der PTBS entwickeln kann und es folglich somit zu einer negativen Veränderung der Stimmung sowie auch einer deutlichen Veränderung des Erregungsniveaus kommt.

Bei betroffenen Personen zeigen sich oft negative Emotionen wie Angst oder Wut, auch eine Interessenlosigkeit an sozialen Aktivitäten als auch an der beruflichen Tätigkeit wird beschrieben. Menschen mit einer PTBS-Symptomatik leiden unter Schlaf- und Konzentrationsstörungen sowie einer verminderten Leistungsfähigkeit.

Schlechte Schlafqualität führt wiederum zu einer negativen Stimmungslage und einer geringeren Frustrationstoleranz. Schlussfolgernd kann dies zu erhöhter Reizbarkeit und einem somit unangemessenen Umgang mit Patienten*innen führen.

Leidet eine im Gesundheitswesen tätige Person an dieser Symptomatik, kann dies folglich Aggression fördern und erheblich zu einer Verminderung der Betreuungsqualität führen. Ebenso kann es zu einem Vermeidungsverhalten kommen, betreuende Personen versuchen dem Menschen mit der dramatischen Leidensgeschichte aus dem Weg zu gehen und den Kontakt zu meiden. Schlussendlich fühlt sich eine ohnehin schon labile Person in ihrer Krise nicht gestützt, nicht verstanden oder gar ignoriert.

Warum ist psychische Stabilität so wichtig?

Es gilt zu bedenken, dass sich Menschen auf einer Akutpsychiatrie in einer Krise befinden. Es sind psychisch Erkrankte, die in den meisten Fällen auch hilfesuchend sind und die Unterstützung und Kompetenz von geschultem Personal benötigen. Somit ist es überaus wichtig, auch auf höheren Ebenen immer die Gesundheit des Personals im Blick zu haben, um für alle Beteiligten ein Arbeitsumfeld zu gestalten, in dem sich sowohl Patient*in als auch Personal gut aufgehoben fühlen. Diese Faktoren zeigen nochmals umso mehr, wie wichtig die Gesundheit des Personals für ein funktionierendes Unternehmen ist und wie ausschlaggebend diese auch für den Behandlungserfolg der Patient*innen ist.

Prävention – aber wie?

Gruppenarbeit

Eine sekundäre Traumatisierung kann in einem helfenden Beruf jeden treffen. Ob Gewalt nun angewandt oder ohne sensorische Reize durch Gesprächsinhalte weitergegeben wird, ist in Bezug auf eine Symptomentwicklung marginal. Die Symptomausprägung mag von der Einwirkung her unterschiedlicher Stärke sein, jedoch kann gezeigt werden, dass eine sekundäre Traumatisierung nicht irrelevant für die Versorgungsqualität ist und Einfluss auf den Behandlungserfolg und die Patientenzufriedenheit hat. Es ist sehr wichtig, das Wissen über die Möglichkeit einer sekundären Traumatisierung nicht nur kurativ in Form von Supervision, sondern auch präventiv zu behandeln. Gesundes Personal, Rückhalt durch Führungspersonen sowie eine offene Grundhaltung gegenüber Gesundheitsvorsorge der Mitarbeiter*innen auf Managementebene, können als Präventionsmaßnahmen angeführt werden.

Verantwortung der Unternehmen

Um ein Umfeld zu schaffen, in dem Gewalt und Aggression (egal von welcher Seite ausgehend) minimiert werden soll, ist es unabdinglich auf Unternehmensebene das Personal auch in der Erhaltung der psychischen Gesundheit zu unterstützen und aktiv zu fördern. Sei es mit unterschiedlichen Fortbildungsmöglichkeiten zur eigenen Resilienzstärkung als auch durch Motivation zur Supervision und Therapie und/oder Gesprächsmöglichkeiten durch Fachpersonal. Personal, das sich wertgeschätzt und in jeder Lebenssituation angenommen fühlt, wird dem Unternehmen eher länger erhalten bleiben, als wenn dies nicht der Fall ist.

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