Wirkung von Architektur, Teil 2

Welche Vorteile bringt die Einbindung von Nutzer*innen bei der Planung eines Neubaus?

Die Einbindung des Wissens von Nutzer*innen bei der Planung

Die Nutzer*innen einer psychiatrischen Abteilung in Wien konnten im Jahr 2014 mit dem Architekturbüro Soyka/Silber/Soyka einen Krankenhausneubau realisieren, der auch noch sechs Jahre später alle gesundheitsfördernden und sicherheitswahrenden Aspekte erfüllt.

Er bietet lichtdurchflutete Stationen, freundliche Atmosphäre, wertschätzendes Design, aggressionsmildernde Umgebung, Plätze zum Verweilen, Ruheoasen und Wohlfühldesign für Patient*innen, Besucher und Personal.

Um dies zu erlangen wurde im Projekt Trainer*innen und Berater*innen für Deeskalations- und Sicherheitsmanagement involviert. Viele verfügbare Empfehlungen im Sinne des Deeskalationsmanagements wurden eingebracht, mitgeplant und umgesetzt.

Woran wurde gedacht, worüber diskutiert und was genau geplant?

Von Beginn an stellte sich die Frage, ob gesundheitsfördernde Architektur und Sicherheitsaspekte für psychiatrische Abteilungen einen Widerspruch darstellen oder nicht? Schließt das eine das andere aus?

Bei einem Neubau eines psychiatrischen Krankenhausbereiches geht es darum, den Wohlfühlcharakter und den Spitalsanspruch auf Hygiene und Sicherheit in den Fokus der Realisierung zu setzen und beide Aspekte zu vereinen.

Es gilt der Anspruch, dass die Erfüllung von Sicherheitsaspekten das Wohlbefinden oder die heilende Umgebung nicht negativ beeinflussen. Es geht darum Sicherheit im Stillen wirken zu lassen und nicht provokativ zur Schau zu stellen. Eine psychiatrische Station muss für die Nutzer*innen Sicherheit ausstrahlen, damit das Personal und die Patient*innen ihre Potentiale entwickeln können. Persönliche Fähigkeiten, Fertigkeiten und Ressourcen im Sinne der Genesung sollen bestmöglich genutzt werden.

Die Wohnumgebung ist der Inbegriff von Schutz und Geborgenheit. Gesundheitsfördernde Architektur ist somit ein wichtiges Fundament und ermöglicht, dass Menschen sich entfalten können.

Speiseraum

„Nur in einer Umgebung wo ich mich wohlfühle, kann ich gesunden“

Frau riecht an Blumen

Das Verweilen im Bett soll nicht zu viel Zeit im Tagesablauf einnehmen. Es soll eine Umgebung geboten werden, die attraktive, aktivierende und interessante Bewegungsangebote bietet. Das Sitzen in der Gemeinschaft und die Möglichkeit von Rundgängen mit Sicht auf Pflanzen und Natur bietet zum Rückzug ins eigene Zimmer eine gute Alternative und kann eine sinnstiftende Beschäftigung darstellen.

Fenster, die geöffnet werden können sind kein Widerspruch zu Sicherheit, sie brauchen nur einen geeigneten Schutzmechanismus vor der Fensterfront.

Die Reduzierung von negativem Stress reduziert negative Emotionen und dadurch Aggression und Gewalt.

Die Architektur von psychiatrischen Stationen kann Aggression und Gewalt und freiheitsbeschränkende Maßnahmen reduzieren.

Was konnte bei diesem Neubau umgesetzt werden

  • Fenster können geöffnet werden und reichen in Patient*innenzimmern und in Gangbereichen vom Boden bis zur Decke. Somit ist natürliches Licht und Helligkeit bestmöglich vorhanden und dies ergibt ein offenes Raumgefühl
  • Fenster in den Innenhof ergeben für den Gangbereich natürliches Licht und Transparenz zwischen den Stockwerken. Dies ohne Lärmbelästigung.
  • Ruheoasen in den Gangbereichen, mit Aussparungen in den Innenhof, laden zum Verweilen ein. Es entsteht das Gefühl dabei zu sein, aber nicht im Weg zu sein
  • Der Gang zieht sich rund um einen Innenhof. Der Ausblick ist immer in Richtung Außenbereich mit natürlichem Licht. Die Anordnung des Ganges als sogenannte „Achterschleife“ ermöglicht, dass die Gehenden sich nicht nur am Gang vor und zurück bewegen müssen, sondern dass sie sich vorwärts bewegen können und wieder am Ausgangspunkt ankommen.
  • Der Gang ist nicht geradlinig ausgerichtet mit Blick in eine sogenannte „Sackgasse“ oder verschlossene Türe sondern endet immer mit einem großzügigen Blick nach Außen (Fenster)
  • Die Gänge sind breit genug, um voneinander Abstand einhalten zu können.

Neugestaltung der Krisenzimmer

Auf den Stationen, in der Nähe der Stützpunkte, gibt es jeweils zwei Krisenzimmer. Diese sind flächenmäßig großzügiger ausgestattet, sodass Interventionen bei agitiertem Verhalten von Patient*innen im Team möglich sind und Situationen bestmöglich unter Wahrung der Sicherheit und Kontrolle der Situation bewältigt werden können. Ebenso gibt es für diese beiden Räume Monitoringsysteme und die Möglichkeit der Videoüberwachung (keine Videoaufzeichnung).

Diese eigenen Räume für Restriktionen und freiheitsentziehende Maßnahmen werden nur für kurze Zeit genutzt. Eine rasche Verlegung in ein normales Patient*innenzimmer ist oberstes Ziel. Es gilt negative Erinnerungen an die Aufnahmesituation im Laufe des stationären Aufenthaltes oder Flashbacks zu vermeiden. Patient*innen erhalten immer ein Zimmer, wo keine Beschränkungen durchgeführt werden bzw. wurden. Wenn sie in ihr Zimmer gehen, sollen sie nicht an negative Situationen erinnert werden (Gerüche, Eindrücke, Bilder, Geräusche…)

Entspannter Mann

Möglichkeit für den Aufenthalt im Freien

Frau breitet die Arme aus

Auch auf diesen wichtigen Aspekt wurde bei der Neuplanung geachtet, da sich die Klinik im stark verbauten Stadtbereich befindet, die Möglichkeit ins Freie zu kommen aber gewährt werden muss.

Gestaltbare Grünbereiche, wie z.B. Terrassen oder ein kleiner Garten mit Beeten. Hier wird mit den Patient*innen Natur erlebbar gemacht, indem Kräuter, Früchte und Gemüse angebaut werden.

Der Dachgarten, dient als Ort der Entspannung und wird als Therapiegarten unter anderem für Morgengymnastik, für Spaziergänge und sonstige Gruppen- und Einzeltherapien genutzt.

Terrasse und Gartenbenutzung ermöglichen es, die Natur und die Jahreszeiten zu erleben.

Technische Ausstattung

Zu den technischen Sicherheitsausstattungen gehört unter anderem ein Alarmierungssystem, welches die Mitarbeiter*innen (vom Reinigungsdienst bis zur Abteilungsleitung) im Dienst am Körper tragen. Ein „stiller Alarm“ kann ausgelöst werden und wird auf die Telefone der anderen Kolleg*innen mit punktgenauer Ortsangabe der Alarmierenden übertragen. Dadurch kann akut Hilfe und Unterstützung geleistet werden.

Die Behandlungszimmer verfügen über zwei Türen, somit ist bei Bedarf eine Fluchtmöglichkeit gegeben.

Räume, in denen sich Patient*innen alleine oder mit Personal aufhalten, verfügen immer über zwei Ein- bzw. Ausgänge.

Ausstattung der Patient*innenzimmer

  • Jedes Zimmer verfügt über eine Nasseinheit
  • Die Zimmer bieten Hotelausstattung (Veranda, Fernseher, Radio,…)
  • Es gibt genug Raum, um die Intimsphäre und Intimdistanz gut einhalten zu können
  • Es wurde ein geräuschreduzierendes Raumdesign mit schallgedämmte Decken umgesetzt
  • Es gibt helle Lichtverhältnisse mit Tageslicht. Das Erleben von Tag- und Nachtzeiten wird durch natürliche Fenster und Terrassentüren ermöglicht
  • Die Räume sind gut temperiert (im Winter nicht zu kalt, im Sommer nicht zu heiß, und eine angemessene Luftfeuchtigkeit)
  • Den im Bett ruhenden Patient*innen wird sowohl der Blick nach Draußen als auch der Blick auf die Türe, die ins Zimmer führt, ermöglicht.
Frau sitzt im Bett

Angenehme Atmosphäre wirkt

In der Klinik wird die „broken window Theory“ gelebt. Das bedeutet, dass eine angeschriebene Wand oder ein abgenutzter Sessel oder abgewohnte Möbel umgehend ersetzt werden.

Eine wertschätzende Umgebung wird respektvoll behandelt, eine „heruntergekommene“ Umgebung wird weiter verwüstet.

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