Anschreien ist auch Kindesmisshandlung
Emotionale Gewalt hat viele Gesichter
Autorin: Bettina Glaser
Guten Morgen, hier kommt die
Stress-Aggressions-Spirale
In der Früh muss es schnell gehen, aber das Kind trödelt. Es hat noch nicht gefrühstückt und auch im Bad ist es mit anderen Dingen beschäftigt als sich für die Schule fertig zu machen. Der Stresspegel steigt, Sie müssen rechtzeitig in der Arbeit sein. Ihre Gereiztheit überträgt sich, das Kind wird gefühlt noch langsamer. Die im Zorn ausgesprochenen Worte haben auf das emotionale Wohlbefinden Auswirkungen. Ihre Worte können die Zukunft Ihres Kindes prägen. Einige Eltern glauben, dass so ein autoritärer Erziehungsstil zu gut erzogenen Kindern führt, übersehen jedoch den verheerenden langfristigen psychologischen Schaden, den sie anrichten. Diese Aggressionen hinterlassen Narben auf der Kinderseele.
Jedes 10. Kind ist von täglichen Bedrohungen
und Beleidigungen betroffen
Verbaler Missbrauch ist eine Form des emotionalen Missbrauchs. Es hinterlässt keine körperlich sichtbaren Spuren, weil der Täter Worte verwendet, um das Opfer herabzusetzen, zu verletzen und klein zu halten.
Eine neue Übersichtsstudie von Shanta Dube der Wingate University in North Carolina zeigt die schockierende Zahl von verbalem Missbrauch gegenüber Kindern. 41 Prozent der über 1000 teilnehmenden Jugendlichen im Alter zwischen 11 und 17 Jahren berichten über regelmäßige Demütigungen und abwertende Kommentare durch ihre Erziehungsberechtigten.
Die Epidemiologin und ihr Team hatten im Auftrag der britischen Wohltätigkeitsorganisation „Words Matter“ mehr als 150 Studien gesichtet, in denen es um verbale Übergriffe im Kindesalter ging. Die meisten Kinder empfinden es laut Umfrage als besonders beschämend und verletzend, wenn sie als „nutzlos“ und „dumm“ bezeichnet werden.
Es ist schwierig, Anzeichen von verbaler Gewalt zu erkennen und zu beenden, da diese Art von Missbrauch oft hinter verschlossenen Türen passiert und es keine sichtbaren Verletzungen gibt.
Einige dieser Anzeichen wären zum Beispiel:
- Absonderung von Freunden und Rückzug im sozialen Leben
- Niedriges Selbstwertgefühl durch ständige Kritik und erniedrigende Kommentare
- Angstzustände und depressive Phasen, die sich in Verhaltensauffälligkeiten, Ein- und Durchschlafprobleme und Stimmungsschwankungen äußert
- Selbstverletzendes Verhalten und/oder Essstörungen
Betroffene Kinder leiden unter körperlicher Misshandlung und Missbrauch oft ein Leben lang – harsche Worte können ähnlich verheerende Auswirkungen haben.
Auswirkungen emotionaler Gewalt auf das Gehirn
Verbale Gewalt erzeugt Stress im kindlichen Gehirn. Kinder erleben verbale Gewalt als genauso bedrohlich wie körperliche Misshandlung. Gewalt ist ein ernstzunehmender Risikofaktor in der kindlichen Entwicklung mit Folgen für die Persönlichkeitsentwicklung, psychische Gesundheit, Motivation und den Lernerfolg, da nachweislich der Hippocampus verkleinert bleibt.
Langfristige Auswirkungen von emotionaler Gewalt im Kindesalter können vielschichtig sein. Kinder, die Gewalt von seitens ihrer Eltern erfahren haben, zeigen ein deutlich erhöhtes Risiko, selbst später Gewalt auszuüben.
Prävention durch Kommunikation
Die Autor*innen der erwähnten Studie betonten, dass eine Anerkennung von verbalem Missbrauch als eigene Form der Kindesmisshandlung ein erster Schritt ist, um diese Missbrauchsart identifizieren und verhindern zu können.
Präventionsmaßnahmen könnten Schulungen der Eltern, Pädagog*innen und allen anderen Erwachsenen, die in der Kindererziehung tätig sind, zu angemessener Kommunikation sein.
Das Forscherteam um die Epidemiologin betont die Wichtigkeit, das Verständnis zu vertiefen und die Grundlagen für weitere Forschung und Präventionsmaßnahmen zu schaffen.
Worte haben Gewicht – sie können einen erheben, aber auch zutiefst verletzen. Lasst uns die Kinder aufbauen, nicht kleinhalten!
Alle Kinder brauchen positive und unterstützende Ansprache. Nur so können sie Vertrauen und ein Sicherheitsgefühl entwickeln. Ihre Worte können die Zukunft Ihres Kindes prägen, entscheiden Sie sich für Freundlichkeit, Respekt und Empathie.
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