Die Kunst des aktiven Zuhörens
Teil 2
Autor: Manfred Fragner, Martin Schriebl
Stufen und Techniken des aktiven Zuhörens
Im ersten Teil unseres Blogs zum Thema aktives Zuhören haben wir uns auf die Ist-Situation konzentriert. Im zweiten Teil möchten wir das aktive Zuhören (empathische Zuhören) beschreiben.
„Mit aktivem Zuhören bezeichnet man eine wertschätzende Grundhaltung und die dazugehörige Gesprächstechnik.“ (Fischer-Epe/Schulz von Thun, 2007, S.31)
Nicht nur mit den Ohren zuhören!
Aktives Zuhören geht weit über passives Zuhören hinaus und ist mit einem intensiveren Kontakt zur/zum Gesprächspartner*in verbunden. Für eine gelungene Kommunikation ist es unerlässlich, dass die/der Empfänger*in Aussagen aus der Perspektive der/des Gesprächspartners*in, der/des Sender*in, betrachtet. Es ist wichtig, sich auf die/den Sprecher*in zu konzentrieren und nicht nur mit den Ohren zuzuhören, sondern auch mit dem Herzen, um die eigentlichen Botschaften hinter den Wörtern zu empfangen.
Beim aktiven Zuhören versucht man sich bestmöglich in das Gegenüber einzufühlen, um ihm in meinen Worten wiederzugeben, was ich nicht nur sachlich, sondern auch emotional verstanden habe.
Die Grundhaltung, die das aktive Zuhören ausmacht, kann man als „einfühlendes Verstehen-Wollen“ umschreiben („Ich habe nicht nur verstanden, was du sagt, sondern auch wie du es meinst und wie dir dabei zumute ist“).
Wichtig ist dabei: Zuhören heißt noch nicht zustimmen.
Die drei Stufen des aktiven Zuhörens
1. Stufe: Kontakt/Beziehung
Ich bin „ganz Ohr“
2. Stufe: Inhaltliches Verständnis
Kernaussagen „auf den Punkt bringen“
3. Stufe: Ansprechen der Gefühlsebene
Der/dem anderen aus dem Herzen sprechen
1. Stufe: Kontakt/Beziehung
Zunächst geht es darum, der/dem Gesprächspartner*in auf der Beziehungsebene zu signalisieren: „Ich bin jetzt ganz Ohr“ – Einfühlung und Akzeptanz gegenüber der/dem Gesprächspartner*in.
Aktives Zuhören ist ein Begleiten des anderen Menschen. Die Körperhaltung sollte der/dem Sprechenden zugewandt sein, Blickkontakt sollte zum anderen Menschen hergestellt sein; Aufmerksamkeit signalisieren, evtl. Körperhaltung spiegeln. Mit passivem Zuhören beginnen, dieses evtl. durch so genannte Telefonlaute (hmm, aha, ..) unterstützen.
2. Stufe: Inhaltliches Verständnis – Inhalte wiederholen und zusammenfassen
Auf dieser Beziehungsbasis kann dann das eigentliche aktive Zuhören stattfinden.
Wichtig ist dabei, dass das Wesentliche (nicht unbedingt alles) in eigenen Worten zusammengefasst wird (bitte kein papageienhaftes Nachplappern!).
3. Stufe: Ansprechen der Gefühlsebene
Die dritte Stufe des aktiven Zuhörens besteht in der Kunst, dem anderen Menschen, aus dem Herzen zu sprechen. Die Gefühlsebene dient der Vertiefung. Der Tonfall ist vermutend, anbietend und fragend. Wichtig ist das Ansprechen der verbalen bzw. nonverbalen Gefühlsebene, nicht unbedingt das exakte „Treffen“ der Gefühle.
Besondere Herausforderungen des aktiven Zuhörens ist, sich als Zuhörer*in (etwas) zurückzuhalten und unter Umständen auch eine gewisse Zeit der Lösungslosigkeit aushalten. Während des Zuhörens dem anderen Menschen die Führung überlassen. Konstruktiver Umgang mit Gefühlen (z.B. bei Tränen der/des Gesprächspartner*in) Schweigen aushalten (vgl. Fischer-Epe/Schulz von Thun, 2007, S.31).
Wann ist aktives Zuhören angebracht und wann nicht
Wann ist aktives Zuhören angebracht?
- Wenn jemand etwas Kompliziertes, Persönliches oder sonst wie nicht ganz leicht Nachvollziehbares erzählt
- In Konfliktgesprächen
- In Beratungsgesprächen, wenn ich der/dem Gesprächspartner*in zu noch mehr Klarheit über ihren/seinen Standpunkt, ihre/seine Wünsche etc. verhelfen möchte.
Wann ist aktives Zuhören unangebracht?
- Aktives Zuhören als Oberhandtechnik missbrauchen wollen
- Übertritt von persönlichen Grenzen
Beispielhaft werden nun drei zentrale Techniken des aktiven Zuhörens beschrieben
Paraphrasieren (2. Stufe – inhaltliches Verständnis)
Beim Paraphrasieren werden die Äußerungen des anderen Menschen in vorsichtigen Formulierungen zusammengefasst. So fällt es der/dem Gesprächspartner*in leichter nachzuhaken, wenn sie/er das Gefühl hat, nicht richtig verstanden worden zu sein. Dem anderen Menschen werden die eigenen Äußerungen „zurückgespiegelt“, so dass sie/er überprüfen kann, wie sie/er verstanden wurde.
Paraphrasierungen werden häufig mit folgenden Sätzen eingeleitet:
- „Verstehe ich Sie richtig, dass…“
- „Sie meinen also…“
- „Mit anderen Worten…“
- „Wenn ich kurz zusammenfassen darf…“
- „Ich höre bei Ihnen heraus, dass…“
- „Was Sie sagen, fasse ich so auf…“
(vgl. Schambortski, 2006, S163)
Verbalisieren (3. Stufe – Ansprechen der Gefühlsebene)
Beim Verbalisieren geht es um die Gefühlslage der/des Gesprächspartner*in, es wird das angesprochen, was zwischen den Zeilen steht, Gefühle und Empfindungen. Man macht deutlich, dass man sich in den anderen Menschen hineinversetzen kann. Es werden sozusagen „goldene Brücken“ gebaut, die es der/dem Gesprächspartner*in erleichtern, ihre/seine Gefühle auszusprechen. Es kommt zu einem Annäherungsprozess an das, was der andere Mensch tatsächlich gemeint hat.
Verbalisierungen werden zum Beispiel so eingeleitet:
- „Sie haben das Gefühl, dass…“
- „Ich kann mir vorstellen, dass Sie enttäuscht (ärgerlich) sind…“
- „Und das macht Ihnen Angst…“
- „Ich habe den Eindruck, dass Ihnen das schwer fällt…“
(vgl. Schambortski, 2006, S165)
Fragen
Ein Schlüssel zum Verständnis der/des Gesprächspartner*in sind Fragen. Über Fragen schaffen wir einen Zugang zur Situation, zu den Gedanken und Gefühlen des anderen Menschen. Über Fragen werden Informationen ermittelt, aber Fragen können auch zur Gesprächslenkung und zur Aktivierung der/des Gesprächspartner*in eingesetzt werden.
Indem Fragen Impulse zum Nachdenken setzen, helfen sie, die Gedanken und Gefühle der/des Gesprächspartner*in zu ordnen. Hier eine beispielhafte Auswahl:
Offene Fragen (W-Fragen) bzw. Informationsfragen
beginnen mit einem Fragewort; was, wann, wo, wie, wer, warum.
Als Antwort wird eine Information oder Stellungnahme erwartet.
Demnach dienen sie der Aktivierung der/des Gesprächspartner*in.
Geschlossene Fragen
Als Antwort wird ein „Ja“ oder“ Nein“ bzw. Daten und Fakten erwartet.
Zielfragen
Erschaffung eines möglichst konkreten Bildes von der Zielvorstellung der/des Gesprächspartner*in.
z.B.: – Woran werden Sie erkennen, dass Sie Ihr Ziel erreicht haben? (Erfüllungskriterien)
– Was wird dann konkret anders sein als jetzt/heute?
Fragen nach Ressourcen
z.B.: – Über welche Fähigkeiten müssten Sie verfügen, um…?
Bewältigungsfragen
Lösungspotentiale und Ressourcen werden sichtbar gemacht.
z.B.: Wie haben Sie es trotz der Schwierigkeiten geschafft, die Patient*innen- Versorgung zu gewährleisten?
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