Prächtige und mächtige Macht
Autorin: Michaela Auer
Welchen Einfluss hat das Machtverhältnis zwischen Behandelnden und Betroffenen in der therapeutischen Beziehung?
Viele psychiatrieerfahrene Patient*innen geben an, dass ein Großteil der Aggression und Gewalt, und der dadurch resultierende Zwang, vermieden werden könnte. Als einen der Hauptfaktoren für die Entstehung der Eskalation benennen sie vor allem das Machtverhältnis zwischen den Betreuenden und den Patient*innen. Betroffene fühlen sich ausgeliefert und beschreiben ein starkes Gefühl der Ohnmacht. Ein starker Kontrollverlust über den eigenen Willen und das Gefühl nichts dagegen machen zu können, führt dann dazu, dass sich die Patient*innen zur Wehr setzen. Es folgt eine aggressive oder gewalttätige Reaktion.
Je größer die Macht, umso gefährlicher der Missbrauch
Der deutsche Soziologe Max Weber definierte Macht sinngemäß so, dass es sich dabei um die Chance handelt, seinen eigenen Willen in einer Beziehung durchzusetzen. Macht ist also ein Bedürfnis nach Sicherheit und Selbstverwirklichung. In sozialen Beziehungen zwischen Behandelnden und Patient*innen kommt es oft zu Machtausübungen. Ob diese Ausübung gut oder schlecht ist, kommt erst zum Vorschein, wenn klar ist, was die Person erreichen möchte.
Machtmissbrauch ist deutlich erkennbar, wenn es um Zwangsbehandlungen geht, jedoch beginnt diese bereits viel früher, wenn z.B. ein*e Patient*in bevormundet wird. Besonders im psychiatrischen Setting geschieht dies oft.
Die/der Patient*in kann beispielsweise denn Bereich nicht ohne Begleitung verlassen. Teilweise werden der/dem Betroffenen auch persönliche Gegenstände, mit denen man sich oder andere verletzen könnte, während des Aufenthaltes verwehrt.
Dadurch kommt es automatisch zu einem unausgeglichenen Machtverhältnis zwischen Behandelnden und Betroffenen. Als besonders belastend und provozierend werden Drohungen und Erpressungen erlebt.
Zwischen Macht und machtlos
Macht scheint in der Gesellschaft negativ behaftet zu sein, dabei kann sie auch durchaus positive Folgen haben. Durch kompetentes Personal kann richtig eingesetzte Macht, eine erfolgreiche Beziehung ermöglichen und die Bedürfnisse einer*s Patient*in so erfüllt werden. Pflegende haben Macht, da sie aktiv am Entscheidungsprozess teilhaben und diesen ein Stück weit steuern können. Passiert dies im Sinne des Patientenwohls, ist Macht etwas gutes und produktives.
Egal ob Behandler oder Betroffener, in Ausnahmesituationen fühlen wir uns alle machtlos. Wird dieser Grundgedanke, dass wir alle im Prinzip Menschen mit ähnlichen Bedürfnissen sind, in den Entscheidungsprozess miteinbezogen, kommt es automatisch zu einem weniger unausgeglichenen Machtverhältnis.
Begegnung auf Augenhöhe reduziert Machtmissbrauch
Psychisch Kranke haben den völlig nachvollziehbaren Wunsch, als ganzer Mensch mit allen seinen Fähigkeiten und Fehlern betrachtet und behandelt zu werden.
Aktives Zuhören und auf die/den Patient*in individuell eingehen, werden als wichtige Aspekte von den Betroffenen erwähnt. Gleichzeitig ist es den Patient*innen ein Anliegen, dass Behandelnde sie als Expert*in ihrer/seiner eigenen Krankheit respektieren und dem Gehör schenken.
Begegnen wir den Betroffenen auf Augenhöhe, ist das Risiko von Machtmissbrauch deutlich geringer.
Fazit
Mit ehrlichem Interesse und einer wertfreien und empathischen Grundhaltung gegenüber jedem Menschen, erzielt man oft großartige Wirkung. Fast jeder Mensch hat den Wunsch nach Respekt, Empathie, Autonomie und Wertschätzung, das ist bei Menschen mit aggressiven Verhaltensweisen nicht anders.
Wenn sich die innere Haltung an diesen Prinzipien orientiert und die Behandlung danach richtet, kann Macht auch durchaus etwas Gutes sein.
„Wer Macht demonstriert, offenbart seine Ohnmacht.“
Andreas Tenzer, deutscher Philosoph und Pädagoge
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