Jetzt bloß nicht die Kontrolle verlieren

Innere Haltung als Einflussfaktor auf unser sichtbares Verhalten

Autorin: Nicole Paulus

Gelebte Sicherheitskultur in Institutionen

Die Bedeutung und Notwendigkeit einer gelebten Sicherheitskultur in Institutionen des Gesundheits- und Sozialbereichs steht mittlerweile außer Frage. Niemand zweifelt mehr daran, dass eine konstruktive und nachhaltige Bearbeitung der Themen Aggression und Gewalt mittlerweile „state of the art“ sein sollte. Die Maßnahmen sind unterschiedlicher Natur: Vereinzelt werden Gewaltschutzkonzepte von den Generaldirektionen verabschiedet, Mitarbeiter*innen nehmen an Deeskalationstrainings teil und auch die Ausbildung der Berater*innen, Trainer*innen für Deeskalations- und Sicherheitsmanagement rückt immer mehr in den Vordergrund. Diese Maßnahmen sind wichtig und es braucht noch mehr davon! Der Ressourcenmangel bei gleichzeitig steigender Belastung setzt alle Beteiligten des Gesundheits- und Sozialbereichs immer mehr unter Druck.

Haltung und Verhalten

Um erfolgreich deeskalieren zu können, sind Fertigkeiten und Fähigkeiten in den Bereichen Kommunikation, Konfliktmanagement, Abwehr- und Befreiungstechniken uvm. hoch relevant. Damit Situationen mit Aggressions- und/oder Gewaltpotential bewältigt werden können ist es, neben den genannten Aspekten im ersten Schritt notwendig, sich selbst „unter Kontrolle“ zu haben, Haltung zu bewahren, um dann situationsadäquat reagieren zu können. Sicher, einfacher gesagt als getan. Und dennoch, auch wenn wir sie nicht messen können, die innere Haltung wirkt sich wesentlich auf unser sichtbares Verhalten aus.

„Als innere Haltung bezeichnet die Psychologie die Einstellung, mit der ein Individuum auf Geschehnisse, bestimmte Gruppen von Menschen, Objekte und Situationen reagiert und wie es diese bewertet. Diese innere Haltung drückt sich aus in Überzeugungen, Emotionen und Verhalten.“

Damit die eigenen Emotionen, Gefühle und Impulse weitestgehend unter Kontrolle bleiben müssen Mitarbeiter*innen wissen, welche Faktoren am Gegenüber (Verhalten, Worte, Gestiken usw.) sie als besonders herausfordernd erleben. Um die roten Knöpfe aufzuspüren, benennen und an ihnen arbeiten zu können, ist eine gründliche Selbstreflexion hilfreich wie notwendig.

Arbeit mit dem inneren Team nach Schulz von Thun

Beim inneren Team handelt es sich um eine Metapher, die sich in der Selbstklärung als nützlich erwiesen hat. Ein Miteinander und Gegeneinander finden wir nicht nur in der uns umgebenden Welt, sondern eben auch, in unserem Inneren. Jedes innere Teammitglied steht dabei für einen inneren Teil oder Aspekt unserer gesamten Persönlichkeit, hat aber nichts mit „multipler Persönlichkeit“ zu tun. Das innere Team stellt vielmehr die Innenseite unserer Kommunikation dar und gibt uns beinahe pausenlos Auskunft über unsere innersten Wünsche, Bedürfnisse, Sorgen und Nöte. Die inneren Teammitglieder sind sich selten einig und nehmen maßgeblich Einfluss auf unser Handeln, unser Kommunikations- und Konfliktverhalten.

vier freundliche Menschen mit Sprechblasen

Mögliche Teammitglieder:

        • Harmonisch („Da muss ich mich bemühen, damit es zu keinem Streit kommt“)
        • Ehrgeizig („Ich kann das!“)
        • Unsicher („Ob das gut geht?“)
        • Egoist*in (Was springt für mich raus?)
        • Perfektionist*in („Das hätte besser laufen können“)
        • Skeptiker*in („Wozu das alles?“)
        • Abenteurer*in („Los doch, das wird spannend!“)
        • Genießer*in („Das habe ich mir verdient!“)
        • Selbstzweifler*in („Das könnte aber auch schief gehen! Packst du das wirklich?“)
        • Visionär*in („Endlich kannst Du Dein Potential entwickeln“)
        • Selbstschützer*in („Nicht das auch noch, ich hab schon genug um die Ohren“)
        • Gewalttätig („Am liebsten würde ich einfach draufhauen“)

Auseinandersetzung mit dem eigenen Team

Fünf Menschen arbeiten gemeinsam

Die hier angeführten Apelle der Teammitglieder sind auch Auskunft darüber, wer unsere inneren Antreiber sind. Um in kritischen Situationen Ruhe bewahren zu können ist es bereits im notwendig, sich mit dem eigenen Team auseinanderzusetzen. Dazu empfiehlt Schulz von Thun eine Teamsitzung.

Zu Beginn ist es hilfreich, ein Bewusstsein für die vorhandenen Teammitglieder zu entwickeln. Um sie bestmöglich zu aktivieren empfiehlt es sich, einen Stift und Papier vorzubereiten und sich gedanklich in eine schwierige Situation hineinzuversetzen. Zum Beispiel: „Soll ich die Wohnung mieten oder nicht?“ Schon nach ganz kurzer Zeit werden sich die Teammitglieder „zu Wort“ melden und ihre Meinung zum Thema äußern. Die Aussagen, Apelle werden nun notiert. Um die einzelnen Mitglieder besser differenzieren zu können wäre es hilfreich ihnen Namen zuzuschreiben. Die Liste ist mit der ersten Teamsitzung wahrscheinlich nicht ganz vollständig, sie kann also beim nächsten Durchgang ergänzt oder korrigiert werden.

Und jetzt?

Der nächste Schritt wäre nun, auch im Alltag auf die Apelle, Nachrichten, der inneren Teammitglieder zu hören. Zum Beispiel beim Einkaufen, im Straßenverkehr, Familienfeiern in der Arbeit usw. Je aufmerksamer dem Innenleben zugehört wird, umso frühzeitiger und besser werden die Mitglieder und deren Nachrichten an uns verstanden. Mit Übung ist es entsprechend möglich, unser Verhalten zeitgerecht unter Kontrolle zu bringen, weil wir den Zusammenhang zwischen Teammitglied, Appell und unserem gezeigten Verhalten ja bereits kennengelernt haben.

Auch wenn wir unser inneres Team mit seinen Appellen an uns kennen, ist es mitunter notwendig, rasch für innere Ruhe zu sorgen. Dazu gibt es langfristige Strategien aber auch Interventionen, die kurzfristig zum Einsatz kommen können.

Langfristig ist es hilfreich Strategien zu finden, die für das persönliche Wohlbefinden sorgen: Sport, der Austausch mit Menschen, Hobbies, die ausgeübt werden, regelmäßige Entlastung im Sinne von therapeutischer Unterstützung, Supervisionen usw.

Frau macht Yogapose

Exemplarische Maßnahmen zur Selbstberuhigung

Rasch wirksame Interventionen

Die 5-4-3-2-1 Übung

Diese Übung kann rasch und unauffällig praktiziert werden, sie benötigt keinen großen Aufwand. Atmen Sie mehrere male tief durch und konzentrieren Sie sich auf Ihre Umgebung. Nennen Sie nun, für sich:

Fünf Dinge, die in der Umgebung sichtbar sind, vier Dinge die gespürt werden, drei die hörbar sind, zwei Düfte oder Gerüche und einen Geschmack, die wahrnehmbar sind.

Auf den Balkon gehen

Sich für kurze Zeit zurückziehen und geistig an einen Ort oder zu einem Ereignis begeben, der, das positiv besetzt ist (Urlaube, Feiern). Ziel ist es, die positiven Empfindungen wieder hervorzuholen und damit das unruhige Innenleben wieder etwas zur Ruhe zu bringen.

Selbstkontrolle und wo bleibe ich?

Es existieren unzählige Maßnahmen, die so individuell sind, wie wir Menschen auch. Es lohnt sich, etwas Zeit zu investieren, um bereits im Vorfeld auszuprobieren, was als hilfreich empfunden wird. So ist man auf die nächste stressige Situation schon besser vorbereitet und kann rascher und effizienter die Schritte zur Selbstberuhigung setzen.

Bei all der Bedeutung und Wichtigkeit der Selbstkontrolle darf dennoch nicht vergessen werden, dass jeder Mensch begrenzt, belastbar ist. So ist es auf der einen Seite in der Verantwortung von Mitarbeiter*innen die persönlichen Grenzen aufzuzeigen und auf der anderen Seite Führungsverantwortung individuelle Maßnahmen einzuleiten um für Entlastung und Schutz zu sorgen.

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