Mikroaggression
verbale Mückenstiche im Alltag
Autor: Florian Hackl
Was können Mikroaggressionen bei den Betroffenen bewirken?
Handlungen und Aussagen, welche Mikroaggressionen beinhalten, sind in unserem beruflichen wie privaten Alltagskonversationen allgegenwärtig. Dabei muss es sich jedoch nicht immer um ein vorsätzliches Agieren handeln. Jedoch stellen Mikroaggressionen im Alltag eine oft unterschätzte Gefahr für die Betroffenen dar.
Was versteht man unter Mikroaggression?
Als Mikroaggressionen werden (unbewusste) verbale Angriffe auf Einzelne oder kulturelle Gruppen bezeichnet. Der Begriff wurde erstmals in den 1970er Jahren verwendet und 2007 durch den US Psychologen Derald Wing Sue wiederbelebt. Sue unterteilt Mikroaggressionen in drei verschiedene Kategorien:
- Mikroangriffe ……. offensichtliche Übergriffe
- Mikrobeleidigungen ……. klar erkennbare Unhöflichkeiten
- Mikroentwürdigungen ……. Mitteilungen, die abweisend und ausschließend sind
Betroffene sind meist Angehörige von Minderheiten, insbesondere Menschen mit Migrationshintergrund oder People of color. Aber auch Frauen sind häufig davon betroffen.
Kultureller Fauxpas oder gezielte Mikroaggression…?
Ein neuer Mitarbeiter betritt den Sozialraum und versucht mit einer dunkelhäutigen Kollegin ins Gespräch zu kommen. Er äußert ihr gegenüber, dass sie gut Deutsch spreche und fragt sie, woher sie denn komme. Sie erwidert ihm, sie komme aus Wien, worauf er sich korrigiert und meint, woher sie denn ursprünglich komme. Ihre Antwort: aus Baden.
Gezielte Mikroaggressionen
Eine definitiv gezielt gesetzte Mikroaggression lässt sich beispielsweise in folgenden Handlungen bzw. Aussagen erkennen:
Das bewusste nicht Erwidern eines Grußes.
Das permanente „nicht ausreden lassen“ einer Person in einer Besprechung.
„Für eine Frau kennst du dich gut in diesem Bereich aus!“
„Du sprichst aber eh gut Deutsch!“
„Schaffst du das, oder soll das ein (echter) Mann machen!?“
„Da wo du herkommst, ist es doch eh immer warm!“
„Das soll ein Kollege machen, der sich auskennt!“
Viele Stiche führen zu einer Wunde
Unabhängig davon, ob eine Mikroaggression gezielt oder unbewusst gesetzt wurde, zwingt sie Betroffene dazu, „sich erklären zu müssen“, um die Annahmen bzw. Vorurteile des Gegenübers richtigzustellen.
Der durch gesetzte Mikroaggression verursachte Schaden lässt sich gut mit Mückenstichen vergleichen.
Ein einzelner „Stich“ ist vielleicht nicht verletzend, aber hunderte „Stiche“ über einen langen Zeitraum führen irgendwann zu einer Wunde. Darunter leidet neben dem Selbstwertgefühl auch die psychische Gesundheit sowie die Würde der betroffenen Person.
Möglich ist eine Beeinträchtigung der Gesundheit
Ist ein Mensch über einen längeren Zeitraum mit Mikroaggressionen konfrontiert, kann es zu einer negativen Beeinträchtigung der Gesundheit kommen. Es können dadurch psychische Krankheiten wie Depression oder Angststörungen entstehen. Ebenso neigen Betroffene stärker zu Süchten wie Glückspiel, Alkohol- oder Nikotinsucht.
Insbesondere im beruflichen Kontext ist die scheinbare Trivialität der Äußerungen oft ein Grund dafür, dass viele Betroffene die erlebten Mikroaggressionen nicht ansprechen, um so in weiterer Folge nicht als überempfindlich oder hypersensibel bezeichnet zu werden.
Sprechen Sie es an!
Bringen Sie ihren Mitmenschen bei, wie Sie selbst behandelt werden möchten. Setzen Sie Grenzen und treten Sie für Ihre Grenzen ein, wenn andere diese überschreiten.
Selbst wenn Ihr Gegenüber nicht beabsichtigt hat, Sie zu beleidigen oder Ihre Gefühle zu verletzen, haben Sie trotzdem das Recht, ihn oder sie direkt darauf anzusprechen.
Auch wenn Sie, so wie im oben genannten Beispiel Zeuge einer mikroaggressiven Aussage werden, handeln Sie – und sprechen Sie die verursachende Person darauf an.
Ansprechen: Ja – aber wie?
Versuchen Sie sich im Gespräch auf die Aussage oder die Handlung – und nicht auf die/den Mikroaggressor*in selbst – zu konzentrieren. Dies kann dabei unterstützen, dass sich die/der Aggressor*in selbst nicht angegriffen fühlt und offener für einen Dialog ist.
Dadurch kann die/der Mikroaggressor*in dabei unterstützt werden, die durch ihre/seine Handlung bzw. Aussage entstandenen Auswirkungen auf die betroffene Person zu verstehen. Es eröffnet weiter die Chance, sich zu entschuldigen bzw. Wiedergutmachung zu leisten.
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